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EU-Apothekenmärkte: IfH fordert Versachlichung

19.06.2008 16:47
In den kommenden Monaten wird sich der europäische Gerichtshof mit dem nationalen Apothekenrecht verschiedener Länder beschäftigen – betroffen ist auch das deutsche Regelungssystem. Insbesondere die Entscheidung des EuGH zur Vereinbarkeit des Fremdbesitzverbotes mit dem Gemeinschaftsrecht, welche für 2009 erwartet wird, ist als richtungweisend einzustufen. Mögliche Konsequenzen werden kontrovers und teilweise einseitig diskutiert. Das Institut für Handelsforschung fordert eine Versachlichung der Diskussion.

Die europäische Kommission, namentlich Binnenmarkt-Kommissar Charlie McCreevy,  vertritt den Standpunkt, dass ein Verbot des Apothekenfremdbesitzes weder  erforderlich noch geeignet sei, die öffentliche Gesundheit zu schützen. Er  verweist darauf, dass bereits die den leitenden Filialapothekern eingeräumten  Handlungsspielräume wie auch die Möglichkeit des Arzneimittelversands aus dem  Ausland eine Aufweichung des Fremdbesitzverbotes mit Legitimation durch den  deutschen Gesetzgeber darstelle. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt  erteilte einer entsprechenden Deregulierung hingegen eine klare Absage:  „Die Sicherheit der Arzneimittelversorgung und die Unabhängigkeit der  pharmazeutischen Beratung lassen sich am besten gewährleisten, wenn der Inhaber einer Apotheke ein unabhängiger Apotheker ist.“ Ob und in welcher  Form Deregulierungsmaßnahmen auf europäischer Ebene vollzogen werden, ist  angesichts dieser konträren Sichtweisen derzeit fraglich.

 

Vielfältige Spekulationen

Vor dem Hintergrund der ungewissen EuGH-Entscheidung und den unterschiedlichen Sichtweisen der Beteiligten sind auch die Fülle und Vielfalt der Spekulationen über die Auswirkungen möglicher Marktderegulierungen zu relativieren. Die Spannweite denkbarer Konsequenzen reicht von einer deutlichen Verminderung der Arzneimittelausgaben bei verbesserter Versorgungsqualität bis hin zu massiven Verwerfungen bei der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Kritiker sehen die größte Gefahr in einer Einflussnahme gewinnorientierter Shareholder. „Würde Fremdbesitz erlaubt, käme es aller Voraussicht nach zu umfassenden Gesundheitskonzernen, in die alle Ebenen der Arzneimittelversorgung integriert wären […]. In derartigen Konglomeraten wären ungeahnte Steuerungs- und Zuweisungsmöglichkeiten eröffnet und eine unabhängige Arzneimittelversorgung gefährdet“, so Lutz Tisch, Geschäftsführer Apotheken- und Arzneimittelrecht der ABDA, im Rahmen der Europa-Tagung in Herne.

 

Vergleich mit ausländischen Märkten hinkt

 

 

In Norwegen, Island, Belgien und den Niederlanden ist das Mehr- und Fremdbesitzverbot in den vergangenen Jahren gefallen. In vielen Ländern gehört  seit der Liberalisierung des Apothekenmarktes die deutliche Mehrheit aller Apotheken einer Kette an. Die Versuchung liegt nahe, Analogien zwischen den beobachtbaren Strukturveränderungen auf ausländischen Märkten und möglichen Veränderungsprozessen für den deutschen Markt bilden zu wollen. Insbesondere Norwegen wird herangezogen, um politische Standpunkte zu unterfüttern –

wesentliche Informationen werden hierbei jedoch häufig zurückgehalten. So ist Norwegen beispielsweise aufgrund seiner geringen Bevölkerungsdichte (4,6 Mio. Einwohner auf rund 324.000 km2) nicht mit dem deutschen Markt (82,4 Mio. Einwohner auf 357.000 km2) zu vergleichen.

 

Rückkehr zur Sachlichkeit gefordert

Um der hohen Bedeutung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln gerecht zu werden, fordert das Institut für Handelsforschung (IfH) bei Fragen rund um das anstehende EuGH-Urteil eine Versachlichung der Diskussion. So ist nach Auffassung der Experten der am IfH angesiedelten Forschungsstelle für Arzneimitteldistribution in einem ersten Schritt eine objektive Effektivitätsdiskussion zu führen: „Erst wenn die Effektivität der Arzneimittelversorgung, d. h. die Arzneimittelsicherheit, die Versorgungssicherheit und die Versorgungsqualität, sichergestellt ist, können wir die Effizienzreserven alternativer Vertriebssysteme bewerten“, so Dr. Markus Preißner, Leiter der Forschungsstelle. Ansätze, die Effektivität der Arzneimittelversorgung zu quantifizieren und Vergleichbarkeit im europäischen Kontext zu schaffen, haben verschiedene Institutionen bereits vorgelegt. Dennoch bleiben angesichts fehlender oder nicht vergleichbarer Daten sowie unzureichender Indikatoren Zweifel an der Validität der bislang durchgeführten Untersuchungen.

 

Europäisierung nicht um jeden Preis

Nach Auffassung der IfH-Experten kommt es im Zuge einer Europäisierung der Märkte nicht darauf an, den kleinsten gemeinsamen Nenner der europäischen Arzneimittelversorgung zu identifizieren und als Maßstab zu setzen. Benchmark und damit Orientierungsgröße muss vielmehr der Marktführer, d. h. das unter Effektivitäts- und Effizienzgesichtspunkten führende aller europäischen Versorgungssysteme, sein. Eine zwanghafte Homogenisierung heterogener Versorgungssysteme darf dabei vor dem Hintergrund der weitreichenden

Konsequenzen für die öffentliche Gesundheit nicht um jeden Preis angestrebt werden, wenn diese Einbußen bei der Versorgungssicherheit oder -qualität in Mitgliedsstaaten erwarten lässt.

 

 

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