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Ausländische Fachkräfte für die Pflege

07.04.2020 12:54
Das Thema Fachkräftemangel ist allgegenwärtig und die Bemühungen sind groß, im In- und Ausland Fachkräfte zu rekrutieren oder wiederzugewinnen. Die Hans-Böckler-Stiftung hat im Dezember 2019 die Studie „Vertane Chancen der Fachkräftebindung in der Pflege. Strukturelle Hindernisse bei der Integration von migrierten und quereinsteigenden Fachkräften“ veröffentlicht, in der die Autorinnen der Frage nachgehen, ob die Einrichtungen und Betriebe in Deutschland aus­reichend auf diese Veränderungen eingestellt sind.

>> Es gebe strukturelle Hindernisse für eine Integration der zunehmenden Anzahl von Fachkräften, die aus dem Ausland oder als Quereinsteigen­de aus einem anderen Beruf in der Pfle­ge tätig werden, analysieren die Autorinnen Mariana Grgic, Christa Larsen, Sigrid Rand, Birgit Riedel und Dorothea Voss. Dadurch komme es zu Konflikten und Missverständnissen und häufig scheitere die Inte­gration in den Pflegealltag ganz. „Damit werden Chan­cen vertan, den Fachkräftemangel in der Pflege zu mildern“, heißt es. Betont wird, dass ausländische Fachkräfte wie Quereinsteiger durch einen Abschluss nachweisen müssen, dass sie den Aufgaben der Pflege gewachsen sind.

Deutschland als Ziellandnoch mit wenig Erfahrung

Die Motivation von Pflegefachkräften aus dem Ausland verorten die Autorinnen im Sammeln internationaler Berufserfahrung oder in der Flucht vor schwierigen ökonomischen und politischen Verhältnissen. Darüber hinaus sei das Unterfangen meist ein „Familienprojekt“, da viele Zugewanderte mit ihrem Verdienst die heimische Familie unterstützten oder mit ihren Kindern und Partnern nach Deutschland migrierten. Der wirtschaftliche Druck sei zudem für viele hoch, da sie sich bereits während des Anwerbe-­ und Aner­kennungsprozesses verschuldet hätten. Pflegefachkräfte können, darauf weisen die Autorinnen hin, autonom zuwandern: als EU­-Bürger im Rahmen der Freizügigkeit oder mit Visum aus einem sogenannten Drittstaat.

Allerdings habe Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern wie zum Beispiel der Schweiz oder Großbritannien deutlich weniger Erfahrung als Zielland der globalisierten Pflegekräfteemigration. Seit 2012 engagiere sich Deutschland hier verstärkt und so sei die Zahl ausländischer Pflegefachkräfte von rund 1.500 (2012) auf rund 8.800 im Jahr 2017 gestiegen. Ihre Heimat liegt meist in süd-, südost- und osteuropäischen Staaten sowie den Philippinen. Auch staatliche Abwerbeabkommen bestehen beispielsweise mit Bosnien Herzegowina, Ser­bien und den Philippinen. Doch zeigt der aktuelle Konflikt mit der serbischen Regierung das Spannungsfeld von Abwerbung personeller Ressourcen. Das seit 2013 laufende Triple-Win-Projekt der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Bundesagentur für Arbeit (BA) hat Vereinbarungen mit Bosnien und Herzegowina, Tunesien, den Philippinen und Serbien. Staatspräsident Aleksandar Vucic soll sich während Bundesgesundheitsminster Jens Spahns Reise in den Kosovo und nach Mexiko deutlich solche Vorgänge in seinem Land verbeten haben.

Aber auch Quereinsteiger haben eine Chance: Die „Ausbildungs-­ und Qualifizierungsoffensive Altenpflege“ beispielsweise ermöglichte im Zeitraum 2012 bis 2019 insbesondere Arbeitslosen eine vollfinanzierte Umschulung zur Altenpflege­fachkraft, führen die Autorinnen auf. Bilanz: Im Zeitraum 2012 bis 2017 haben demnach knapp 38.000 Personen eine Umschulung in der Altenpflege begonnen, und 30.600 Fachkräfte schlossen die Ausbildung in diesem Zeitraum ab. Auch für die generalistische Pflegeausbildung sei eine dreijährige Fördermöglichkeit ab dem Jahr 2020 über das Pflegeberufereform­gesetz sichergestellt.

Dissonanzen ausräumen

Die Studienautorinnen machen für ausländische Pflegefachkräfte und Quereinsteiger grundsätzliche strukturelle Hindernisse aus. Zugewanderte Fachkräfte werden trotz vorhan­dener Berufsabschlüsse und Sprachkenntnisse in der Regel zunächst als Pflegehelferinnen und ­-helfer beschäftigt, was sie oft als fachliche Unterforderung empfänden. Das gelte vor allem dann, wenn eine Beschäftigung vor Abschluss des Anerken­nungsverfahrens begonnen werde und das sei nicht selten der Fall, weil eine Anerkennung der Abschlüsse bei Pflegefachkräften aus Drittstaaten bis zu 18 Mo­nate dauern könne. Das Empfinden mangelnder Wertschätzung sei die Folge, stellen die Autorinnen fest. Hingegen sähen sich Quereinsteigende in Altenpflegeeinrichtungen einer fachlichen Überforderung beim Einstieg in den Pflegealltag augesetzt: Als Erwachsene würden sie oft nicht als Auszubildende wahrgenommen und deswegen – auch angesichts des Fachkräfteman­gels – in den täglichen Arbeitsabläufen zu schnell als vollwertige Fachkraft eingesetzt. Folglich seien die Führungskräfte gefragt, Probleme solcher Art zu lösen. Gelingt das nicht, würden die Dissonanzen auf persönlicher Ebene in Teams getragen, und häufig auch ethnisiert. In den Interviews sei berichtet worden, dass Abwertungen, Gruppenbildung oder Polarisierung zwischen Eta­blierten und Neuen keine Seltenheit seien.

Die Studie eroffnet fünf Optionen wie ausländische Fachkräfte oder Quereinsteigen­de auf die Dissonanzen reagieren: „auf eigene Faust anders arbeiten“, „in den Konflikt gehen“, „so schnell wie möglich weiter­ziehen“ und „Exit deutsche Pflege“. Diese vier Optionen führten oft zum Ausstieg. Manche – vor allem Junge – seien in der Lage sich schließlich anzupassen.

Mehr Zeit bei der Integration – womöglich mit Unterstützung von Coaches –, das Beschleunigen von Anerkennungsverfahren für die Abschlüsse ausländischer Pflegefachkräfte, mehr Informationen und Reflexionsmöglichkeiten in Deutschland bereits tätiger Pflegefachkräfte über die Ausbildungs- und Arbeitsorganisation im Ausland und auch bessere Vorbereitung und Auswahl bei der Umschulung zu Altenpflegefachkräften oder die positive Einflussnahme von Betriebsräten auf das Management empfehlen die Autorinnen, um gegenzusteuern. <<

Ausgabe 01 / 2020