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Mehr akademisch ausbilden

07.04.2020 15:46
Um eine hochwertige Gesundheitsversorgung in Deutschland weiterhin sicherstellen zu können, rät die Stiftungsallianz, bestehend aus Robert Bosch Stiftung, Bertelsmann Stiftung und Stiftung Münch zu einem entschlossenen Kurswechsel. Das gemeinsame Positionspapier „Pflege kann mehr!“ nennt zentrale Empfehlungen, um den Pflegeberuf zu stärken, denn trotz der Anstrengungen vieler Akteure in den letzten Jahren sei es schwierig, ein hinreichendes Mittel gegen den Fachkräfte- und Versorgungsmangel zu finden.

>> Unter dem Titel „Pflege kann mehr!“ formulieren die Stiftungen ihre Empfehlungen: Mehr Verantwortung für professionell Pflegende durch Übernahme ärztlicher Aufgaben, mehr Expertise durch Ausbau der Akademisierung und eine stärkere Selbstverwaltung. Die Stiftungsallianz warnt vor einem Absenken der Bildungsstandards und rät in ihrem 5-Punkte-Papier zu mehr Professionalisierung, um Fachkräftemangel zu begegnen und Qualität in der Versorgung langfristig sicherzustellen. Ziel müsse eine nachhaltige Aufwertung der Pflege sein, mit erheblich mehr akademisch ausgebildeten Pflegekräften und Karrieremöglichkeiten. Dazu gehöre der Ausbau von Pflegestudiengängen an Hochschulen und Universitäten. Notwendig seien rund 30.000 Studienplätze und entsprechende Konzepte für den Einsatz akademischer Fachkräfte in der Pflegepraxis. Der gesetzliche Rahmen für eine hochschulische Pflegeausbildung sei mit dem PflBG gegeben, die Finanzierung müsse jetzt schnell zwischen Bund und Ländern auf den Weg gebracht werden.

Substitution braucht Umsetzungswillen

In ihrem Papier verweisen die Stiftungen auf internationale Beispiele, die zeigen, wie der professionellen Pflege mehr Verantwortung übertragen werden könne. „In vielen Nachbarländern werden seit langem gute Erfahrungen mit der partnerschaftlichen Aufteilung der Heilkunde-
verantwortung zwischen verschiedenen Berufsgruppen gemacht.Dabei wird verstärkt auf akademisch qualifizierte Pflegefachpersonen gesetzt, die in enger Kooperation mit Ärzten und weiteren Akteuren Patienten und Pflegebedürftige eigenverantwortlich diagnostisch und therapeutisch versorgen“, betont Prof. Dr. Boris Augurzky von der Stiftung Münch.

Neujustierung der Gesundheitsberufe

Auch die Kompetenz, bestimmte Medikamente und Hilfsmittel selbständig verordnen zu können, gehöre für die professionell Pflegenden in anderen Ländern zum Alltag. Eine entsprechende Neujustierung der Gesundheitsberufe in Deutschland werde derzeit vom Bundesgesundheitsministerium geprüft. „Es braucht jetzt den entschiedenen Umsetzungswillen bei Politik und Verantwortlichen, dies auch bei uns zeitnah anzugehen“, so Augurzky.

Die Allianz begrüßt zudem, dass die Konzertierte Aktion Pflege (KAP) der Fachkommission nach §53 PflBG aufgetragen hat, standardisierte Module zur Vermittlung erweiterter Kompetenzen für Pflegefachpersonen zur Ausübung selbständiger Heilkunde zu entwickeln. Diese Module könnten schneller und unkomplizierter in die beruflichen und hochschulischen Pflegeausbildungen implementiert werden. Positiv bewerten die Stiftungen auch, dass gemäß §4 des PflBG ab 2020 erstmals einzig Pflegefachpersonen dazu berechtigt sind, den individuellen Pflegebedarf zu erheben und festzustellen, den Pflegeprozess zu organisieren, zu gestalten und zu steuern sowie die Qualität der Pflege zu sichern, zu entwickeln und zu evaluieren. Diese Regelung vorbehaltener Aufgaben gehe so weit, dass es auch Ärzten zukünftig untersagt sei, in diese Hoheit einzugreifen. „Erstmals verfügt die berufliche Pflege damit über eine professionelle Handlungsautonomie“, resümieren die Studienautoren.

Fachlich spreche zudem vieles dafür auch die Begutachtung von Pflegebedürftigkeit und die Pflegeberatung im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes zu vorbehaltenen Aufgaben von professionell Pflegenden zu erklären und damit die Handlungsautonomie des Berufes weiter zu stärken. Ob damit perspektivisch auch die Zuständigkeit für die Begutachtung von Pflegebedürftigkeit vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) an die Profession der Pflege und eine entsprechende Organisation ihrer Selbstverwaltung übergehen könne, werde in Zukunft noch zu diskutieren sein.

Akademisierung vorantreiben

Mit der zunehmenden Komplexität und notwendigen Spezialisierung in der Versorgung begründet der Wissenschaftsrat (WR) seine Empfehlung 10 bis 20% eines Ausbildungsjahrgangs der Gesundheitsberufe akademisch zu qualifizieren. Aktuell gehe man von rund 1% der Beschäftigten aus, die in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern über einen akademischen Abschluss verfügen – und das oft in „patientenfernen Handlungsfeldern“, heißt es im Positionspapier.

Die Autoren bringen Beispiele aus dem Ausland an: Im Fall der Primärversorgung in der Kommune gehe es beispielsweise um Community Health Nursing (CHN) oder Public Health Nursing (PHN). Diese APN würden z. B. auf Aufgaben der eigenständigen medizinisch-pflegerischen, ambulanten Versorgung in enger Zusammenarbeit mit Ärzten vorbereitet. „Oder sie kommen im Kontext sozialräumlicher und vorwiegend gesundheitsförderlicher und präventiver Aufgaben in Kommunen zum Einsatz, etwa in Bereichen der aufsuchenden Beratung und der kommunalen Infrastrukturentwicklung“, beschrieben die Autoren. In der Akutversorgung zielten APN-Masterstudiengänge im Ausland z. B. auf „Critical Care“, „Acute Care Nursing“ oder „Intensive Care Nursing“. In der stationären Langzeitpflege übernähmen APN Aufgaben der Qualitätssicherung und -entwicklung, insbesondere mit Blick auf pflegerische Interventionen zur Teilhabeförderung, Demenzbegleitung, Dekubitus- und Sturzvermeidung, aber auch zur generellen Innovation und Öffnung der Einrichtungen ins Quartier hinein. Das Resultat sei eine selbst- ändige Pflege, die in enger Kooperation mit Ärzten Patienten eigenverantwortlich versorge.

Eine starke Selbstverwaltung, bitte

Darüber hinaus raten die Stiftungen dazu, die Rolle der Pflege zu stärken, und zwar dort, wo es um Entscheidungen gehe, die Auswirkungen auf die pflegerische Versorgung haben. Hier müsse professionelle Pflege mit am Tisch sitzen. Uwe Schwenk von der Bertelsmann Stiftung fordert: „Die Pflegenden sollten sich selbst aber auch stärker organisieren und in die Debatten einbringen“, so Schwenk. So existieren beispielsweise schon heute Pflegekammern in Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg wird an deren Errichtung gearbeitet. Diese Entwicklung sollte aus Sicht der Stiftungen von den politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern gefördert werden. „Die Pflegekammern mit ihrer Pflichtmitgliedschaft bieten eine gute Möglichkeit zur organisierten Selbstbestimmung der Pflege, auch wenn damit die freiwillige Selbstorganisation der Pflegenden keineswegs obsolet wird“, betont Schwenk.

Spitzenmedizin – und Spitzenpflege!

„Deutschland leistet sich eine sehr gute Breitenmedizin, eine wettbewerbsfähige Spitzenmedizin und zugleich einen Dauerpflegenotstand. Um die Pflege in der Fläche zu sichern, müssen wir zusätzlich für Spitzenpflege sorgen“, fordert Dr. Bernadette Klapper, Leiterin des Bereichs Gesundheit der Robert Bosch Stiftung. Nur wenn die Attraktivität des Berufsbildes steige, würde man langfristig genügend Personal gewinnen können.
„Die Realität zeigt, dass das Bild „Pflege kann jeder!“ gefährlich ist und nicht gegen den Fachkräftemangel hilft“, so Klapper weiter. Aus Sicht der Allianz hängt die Qualität und Zukunftsfähigkeit der Gesundheitsversorgung im erheblichen Maße von der Rolle und den Beiträgen der professionellen Pflege ab. Dazu brauche es kurz- und mittelfristige Strategien, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und ebenso, um die Qualität in der professionellen Pflege sicherzustellen.

„Die öffentliche Hand und die Solidargemeinschaft wird Milliarden Euro in die Pflege investieren müssen, dafür aber erhebliche Kosten einsparen durch eine effektivere und effizientere Versorgung und eine in der Folge gesündere Bevölkerung. Pflege kann mehr, wenn man ihr die Möglichkeiten dazu gibt“, prognostizieren die Autoren des Positionspapieres. <<

Ausgabe 01 / 2020