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Versorgung von Pflegeheimbewohnern mit ärztlichen Leistungen. Befragungen und Datenerhebungen in Sachsen, ergänzt mit bundesweiten Daten.

03.08.2020 15:05
Zwischen drei und fünf Prozent der Bevölkerung in den 16 deutschen Ländern erhalten Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung (SGB XI). Mit regionalen Schwankungen bezieht etwa ein Viertel der Pflegebedürftigen Leistungen der vollstationären Pflege (vgl. Abb. 1). Zu der Frage, ob oder in welchem Umfang diese Bewohner von Pflegeheimen ärztlich und zahnärztlich versorgt werden, liegen wenige Informationen vor. Schon seit langem wurde vermutet, dass die Versorgung an dieser Stelle defizitär sein könnte, beispielsweise im Gutachten des Sachverständigenrats für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen 2000, Textziffer 353. Der Gesetzgeber hat diese Frage aufgegriffen1 und § 119b SGB V im Jahr 2008 mit dem Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) in das SGB V aufgenommen. Damit sollte die Versorgungssituation in Pflegeheimen adressiert und nachhaltig verbessert werden. Als Instrument brachte der neue § 119b die Möglichkeit, Kooperationsverträge zwischen Vertragsärzten und Vertragszahnärzten einerseits und Pflegeheimen andererseits zu schließen. In den Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM) und in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (BEMA) wurden neue Positionen aufgenommen, die die Koordinations- und Kooperationsleistungen nach § 119b vergüten und einen zusätzlichen Anreiz für die Erbringung ärztlicher bzw. zahnärztlicher Leistungen in Pflegeheimen darstellen.

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>> Wenn Kooperationsverträge nach § 119b nicht zustande kommen oder die vertragsärztliche Versorgung der Heimbewohner nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann, sieht dieser Paragraph die Möglichkeit angestellter und vom Zulassungsausschuss zu ermächtigender Ärzte in der Pflegeeinrichtung vor (§ 119b Abs. 1 Satz 3). In der Praxis ist dies jedoch eine selten anzutreffende Konstellation. Die Variante erscheint eher als gesetzgeberische Drohkulisse denn als eine Option, die auf Dauer flächendeckend umgesetzt werden kann, zumal ein Arzt mit einem Pflegeheim durchschnittlicher Größe nicht ausgelastet ist.

Gut zehn Jahre nach Inkrafttreten des § 119b SGB V ist eine Bestandsaufnahme an der Zeit, welche Wirkungen durch diese Maßnahmen entfaltet wurden. Wie haben sich Ärzte, Zahnärzte, Pflegeheime und Krankenkassen auf die veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen eingestellt, und wie sieht die vertragsärztliche bzw. vertragszahnärztliche Versorgungssituation in Pflegeheimen heute aus? Die folgende Darstellung stützt sich auf eine 2019 von AGENON für das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz erstellte Evaluierung (Dudey, Rädel, Priess, Bohm 2019) sowie auf weitere Veröffentlichungen zum Thema.

Datengrundlagen und Vorgehensweise
Grunddaten zur Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI im Bundesgebiet sowie regionalisierte Ergebnisse nach Ländern stellen das Statistische Bundesamt (www.destatis.de) und die Statistischen Landesämter bereit. Für die vorliegenden Auswertungen ist zum einen das Datenangebot des Statistischen Landesamts des Freistaates Sachsen genutzt worden (www.statistik.sachsen.de). Ergänzend stellen die Statistischen Ämter in der Regionaldatenbank Deutschland tief gegliederte Ergebnisse der amtlichen Statistik des Bundes und der Länder bereit, die regionale Vergleiche erleichtern sollen (www.regionalstatistik.de).

Für tiefergehende Analysen zur ärztlichen oder zahnärztlichen Versorgung von Pflegeheimbewohnern wurden Daten und Sonderauswertungen berücksichtigt, die von der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (KVS), der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen (KZVS) und der AOK PLUS, Geschäftsbereich Sachsen, zur Verfügung gestellt wurden. Dabei bietet die Nutzung der Krankenkassen-Routinedaten gegenüber anderen Datenquellen zusätzlichen Erkenntnisgewinn in mehrfacher Hinsicht:

  • Versicherte mit bestimmten gefilterten Merkmalen können einer Grundgesamtheit aller Versicherten gleichen Alters oder Versicherten mit Wohnsitz in der gleichen Region gegenübergestellt werden (Nennerbildung).
  • Neben Pflegeheimbewohnern, die im Rahmen eines 119b-Vertrags betreut werden, können auch solche betrachtet werden, die vertragsärztliche Leistungen außerhalb eines 119b-Vertrags in Anspruch nehmen.
  • Für alle betrachteten Gruppen können weitere Leistungsinanspruchnahmen ausgewertet werden, insbesondere Krankentransporte und Krankenhausaufenthalte, und unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Anforderungen verknüpft werden.

Die AOK PLUS versichert im Freistaat Sachsen 2,1 Millionen Personen. Das ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung.

Zunehmende Zahl der abgeschlossenen Kooperationsverträge

Die Vertragsdatenbank der KVS weist in den sechs Quartalen von Q3 2016 bis Q4 2017 für Sachsen einen Anstieg der Zahl der hausärztlichen und fachärztlichen Kooperationsverträge aus (Tabelle 1). Allerdings wurde keine Flächendeckung erreicht. Ende 2017 waren 12 der 45 sächsischen Mittelbereiche2 ohne hausärztlichen Kooperationsvertrag; das sind 27%. Bei den Fachärzten waren 32 von 45, also mehr als 70%, ohne Vertrag.
Im zahnärztlichen Bereich erfasste die Vertragsdatenbank der KZVS im 4. Quartal 2017 233 vertragszahnärztliche Kooperationsverträge in 200 Pflegeeinrichtungen. Von 45 Mittelbereichen waren 3 ohne Vertrag. Aus den BEMA-Abrechnungsdaten geht hervor, dass im 4. Quartal 2017 12.979 Versicherte in Pflegeeinrichtungen auf der Basis von zahnärztlichen 119b-Kooperationsverträgen betreut wurden. Die entsprechende Zahl in der vertragsärztlichen Versorgung im 4. Quartal 2017, berechnet anhand von abgerechneten Leistungen aus dem EBM-Kapitel 37.2, betrug 8.731 Versicherte (Dudey, Rädel, Priess, Bohm 2019, S. 25f.).

In der zahnärztlichen Versorgung wurden also mehr Kooperationsverträge abgeschlossen und mehr Versicherte behandelt als in der ärztlichen Versorgung. Dabei dürfte die Tatsache eine Rolle spielen, dass die Möglichkeit der Abrechnung nach den BEMA-Ziffern bereits seit April 2013 besteht, während im vertragsärztlichen Bereich das Kapitel 37.2 erst ab 1.7.2016 in den EBM aufgenommen wurde.

Kontakthäufigkeiten mit dem vertragsärztlichen System
Durch Auswertung von Routinedaten der damals noch bestehenden Gmünder Ersatzkasse (GEK) haben die Autoren des GEK-Pflegereports 2008 (Rothgang et al. 2008, S. 210, sowie Abb. 81, S. 191) festgestellt, dass „pflegebedürftige Heimbewohner – auch bei Kontrolle von Alter und Geschlecht – signifikant mehr [allgemeinmedizinische] Behandlungsfälle [als ambulant Gepflegte bzw. Menschen ohne Pflegeleistung] aufweisen. Dieser Unterschied bleibt auch bei Berücksichtigung wichtiger Krankheiten bestehen. Der Vergleich mit den Nicht-Pflegebedürftigen und den Pflegebedürftigen in häuslicher Pflege bietet somit keinen Hinweis auf eine Unterversorgung der Heimbewohner mit allgemeinärztlichen Untersuchungen und Behandlungen. Auch die Absolutzahl der Behandlungsfälle entspricht knapp den diesbezüglich erhobenen Forderungen. Bei den Frauen liegt die Zahl der Behandlungsfälle je nach Alter im Bereich von 3,6 bis 4 [pro Jahr] und bei den Männern sogar noch darüber zwischen 3,9 und 4,6 [pro Jahr].“

Die verwendeten Daten stammen aus dem Jahr 2006, also vor Einführung des § 119b im SGB V. Bei der auf Sachsen fokussierten Untersuchung zehn bzw. elf Jahre später lag der Anteil der AOK PLUS-versicherten Pflegeheimbewohner mit mindestens einem Hausarztkontakt in den Quartalen Q3 2016 bis Q4 2017 zwischen 97% und 98%. Auch das ist kein Beleg für eine Unterversorgung der Heimbewohner im Bereich der hausärztlichen Leistungen.

Die entsprechende Quote in Sachsen von Versicherten mit mindestens einem Facharztkontakt mit einem oder mehreren der geriatrisch besonders relevanten Fachärzte für Neurologie, Psychiatrie, Dermatologie, HNO, Urologie oder Augenheilkunde lag im gleichen Zeitraum zwischen 71% und 72%. Über 45 sächsische Mittelbereiche betrachtet weisen diese Zahlen eine im hausärztlichen Bereich geringe und im fachärztlichen Bereich etwas größere Varianz auf. Analysiert man dagegen die sechs genannten Facharztgruppen getrennt, ergeben sich erwartbar größere regionale Varianzen (Dudey, Rädel, Priess, Bohm 2019, S. 49 ff.). Die Existenz dieser Varianzen heißt konkret, dass entsprechende Versorgungsprobleme in den betroffenen Regionen bestehen.

Andere Untersuchungen zur Kontakthäufigkeit von Pflegeheimbewohnern mit dem vertragsärztlichen System ergaben ähnliche Werte. Aus bundesweiten AOK-Daten wurde ermittelt, dass 98,4% der stationär gepflegten Pflegebedürftigen im Durchschnitt über das Jahr 2017 pro Quartal mindestens einen Kontakt mit einem Vertragsarzt hatten, davon 96,5% mit einem Hausarzt (einschließlich hausärztlich tätige Internisten) und 70,9% mit einem Facharzt (Tsiasioti 2019, S. 279 f.). Mindestens einen Kontakt mit einem Facharzt für Neurologie hatten 30,1% der Pflegeheimbewohner; der entsprechende Wert für Sachsen betrug 41% (Dudey, Rädel, Priess, Bohm 2019, S. 51).

In der Gruppe der Pflegeheimbewohner wurden Versicherte, die im Rahmen eines 119b-Kooperationsvertrags ärztlich versorgt wurden, dadurch identifiziert, dass für sie im betrachteten Quartal mindestens eine Leistung aus Kapitel 37.2 des EBM abgerechnet worden ist. Die letzte Zeile von Tabelle 2 bildet für Sachsen die Entwicklung des Anteils der Versicherten mit jeweils mindestens einer Leistung aus Kapitel 37.2 EBM über sechs Quartale ab. Die Zunahme der Versorgung im Rahmen von Kooperationsverträgen wird ähnlich wie in den KVS-Auswertungen (s.o. Tabelle 1) in diesen Zahlen deutlich, wenngleich das Niveau weiterhin eher niedrig ist.

Tabelle 2 enthält auch die Quartalszahlen zu den oben erwähnten Anteilen der Versicherten mit Hausarzt- bzw. Facharztkontakten. Die Vergleichbarkeit mit den Anteilen der Versicherten mit mindestens einer Leistung aus Kapitel 37.2 EBM in der letzten Zeile ist insofern eingeschränkt, als sich aus den Daten für die ersten drei Zeilen in der Tabelle die Behandlungen, die nicht im Pflegeheim stattgefunden haben, sondern in der Arztpraxis, nicht herausrechnen lassen. Solche Konstellationen kommen sowohl in der hausärztlichen als auch in der fachärztlichen Versorgung vor, wenn nämlich ein Pflegeheimbewohner zur Behandlung in die Praxis gebracht wird. Im betrachteten Zeitraum kann von einer erheblichen vertragsärztlichen Unterversorgung der Pflegeheimbewohner nicht die Rede sein. Neben etwa 4,5 Kontakten pro Quartal zum Hausarzt (über die Quartale gemittelt) treten mehr als 1,5 Kontakte zu ausgewählten Fachärzten. Gleichwohl sind damit nicht alle Unterversorgungskonstellationen in Regionen behoben, insbesondere was die Betreuungsdichte durch bestimmte Facharztqualifikationen angeht.

Rettungstransporte und Krankenhausinanspruchnahme
In Fußnote 1 wurde das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, mit der Einführung des § 119b SGB V der gesetzlichen Krankenversicherung unnötige Transport- und Krankenhauskosten zu ersparen, bereits erwähnt. Die Überprüfung, ob dieses Ziel so erreicht werden konnte, bedarf sicherlich einer längerfristigen Analyse, die verschiedene Faktoren einbezieht. Hier sei nur auf folgendes hingewiesen: In den sechs Quartalen zwischen Q3 2016 und Q4 2017 lag der Anteil der bei der AOK PLUS-versicherten Pflegeheimbewohner mit mindestens einem Transport durch einen Rettungswagen und / oder Notarzteinsatz stabil mit geringen Schwankungen um die 15%. Ein fallender Trend ist nicht zu beobachten. Dasselbe gilt für die durchschnittliche Zahl der Krankenhausfälle je 100 AOK-PLUS-Pflegeheimbewohner, die mit leichten Schwankungen etwa bei 22 liegt (Dudey, Rädel, Priess, Bohm 2019, S. 59-60). Die entsprechende bundesweite Zahl für vollstationär Gepflegte lag 2017 bei 21,3 (Tsiasioti 2019, S. 285).

Ein weiterer Ansatz, mit dem der Antwort auf die Frage der Auswirkungen der Einführung des § 119b SGB V näher gekommen werden sollte, war folgender: Die vorhandenen Regionaldaten über 45 Mittelbereiche in Sachsen wurden auch auf regionale Unterschiede bei der Transporthäufigkeit sowie bei der Krankenhaushäufigkeit untersucht. Die Frage, ob es eine nennenswerte Korrelation zwischen diesen regionalen Unterschieden und den regionalen Unterschieden bezüglich des Anteils der Bewohner, die im Rahmen einer 119b-Kooperation versorgt werden, gab, haben wir nach den Ergebnissen einer grafischen Analyse verneint (Dudey, Rädel, Priess, Bohm 2019, S. 61-62).

Die Universitäten in Oldenburg und in Bremen (Czwikla et al. 2019) gehen in einem von 2017 bis 2020 laufenden Forschungsprojekt der Frage nach, ob Pflegeheimbewohner zu häufig mit dem Rettungsdienst ins Krankenhaus gebracht werden. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass dies der Fall ist (Universität Bremen 2019).

Interviews mit Pflegeheimen und mit Ärzten
Anhand von 21 vor Ort durchgeführten fragebogengestützten Interviews wurde die hausärztliche, die fachärztliche und die zahnärztliche Versorgungssituation in Pflegeheimen untersucht. 12 der Interviews fanden in Dresden bzw. Leipzig statt, die übrigen im ländlichen Raum, und zwar in den Mittelbereichen Weißwasser und Marienberg. 85 angefragte Pflegeheime waren nicht zu einem Interview bereit. Es ist möglich, dass hier Selbstselektionseffekte aufgetreten sind. Heime, die eine gut funktionierende medizinische Versorgung ihrer Heimbewohner vorweisen können, waren möglicherweise eher bereit, an einem Interview teilzunehmen.

In den Interviews wurde die hausärztliche Versorgung der Bewohner durchgehend als zufriedenstellend geschildert, und zwar unabhängig davon, ob ein 119b-Vertrag vorlag oder nicht.

Die fachärztliche Versorgung wurde von den städtischen Pflegeheimen positiver dargestellt als in den auf dem Land geführten Interviews. Der Mangel an Augenärzten allerdings wurde durchgehend beklagt. Einzelne Heime hatten fachärztliche 119b-Verträge abgeschlossen; dies war aber eher die Ausnahme. Ein Teil der Heime, insbesondere in Leipzig, berichtete, dass durch gut funktionierende Kooperationen die Zahl der Notfälle und Krankenhauseinweisungen „definitiv“ verringert worden sei (Dudey, Rädel, Priess, Bohm 2019, S. 34).
Eine zahnärztliche Versorgung in Pflegeheimen ist praktisch bzw. technisch dadurch erschwert, dass eine apparative Ausstattung wie in der Zahnarztpraxis dort meist nicht vorhanden ist. Gleichwohl berichteten viele der befragten sächsischen Pflegeheime, dass Zahnärzte in ihr Heim kommen und versuchen, eine aufsuchende Grundversorgung sicherzustellen.

Mit sechs Ärzten wurden Interviews telefonisch durchgeführt. Wie bei den Pflegeheimen war die Zahl der für ein Gespräch bereiten Ärzte kleiner als die Zahl der Ablehnungen. Die Ergebnisse können von daher nicht repräsentativ sein. Die Mehrzahl der Arztpraxen in dieser Stichprobe kannten die Möglichkeit, 119b-Kooperationsverträge abzuschließen. Eine Ärztin legte Wert auf den Hinweis, dass sie seit 20 Jahren sehr gut mit einem Pflegeheim zusammenarbeite und dass dies auch ohne 119b-Vertrag vor der Schaffung von Kapitel 37.2 im EBM möglich war (Dudey, Rädel, Priess, Bohm 2019, S. 38).

Die Kommunikation und Kooperation mit den Pflegeheimen beschrieben die befragten Ärzte als positiv und konstruktiv. Zur Erreichbarkeit existierten funktionierende Absprachen. Anrufe außerhalb der Sprechstundenzeit, nachts und am Wochenende kämen selten vor. Die Kontaktmöglichkeiten würden von den Pflegekräften verantwortungsvoll und nur in tatsächlich dringenden Fällen genutzt.

Chronische Wunden sind in der Wahrnehmung der Ärzte ein wichtiges Thema. Ein Arzt verwies auf das Verbesserungspotenzial, das durch Weiterbildung erschließbar sei, angefangen mit dem Personal in den Pflegeheimen sowie der Delegation an entsprechend qualifizierte nichtärztliche Wundmanager (Dudey, Rädel, Priess, Bohm 2019, S. 39). Auch in anderen Bereichen des ärztlichen und pflegerischen Handelns wurde der Weiterbildung ein hoher Stellenwert zugemessen, zum Beispiel in der Insulintherapie.

I&K-Technologien / Telemedizin in der Pflege
Ein wichtiges Thema im abschließenden Workshop zu dem hier vorgestellten AGENON-Forschungsprojekt in Sachsen waren die pflegerischen und medizinischen Verbesserungsmöglichkeiten, die ein Ausbau der Telemedizin bringen könnte. Auch unter den interviewten Ärzten betonten mehrere die Perspektiven, die diese technischen Möglichkeiten bieten. Dabei verwiesen sie auf die Problematik vieler nicht besetzter allgemeinmedizinischer Vertragsarztsitze in den ländlichen Regionen Sachsens und die mit dem Einsatz von Telemedizin erhoffte bessere Nutzung der vorhandenen Ressourcen.

Der Gesetzgeber geht in dem am 09.11.2018 vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals (Pflegepersonal-Stärkungsgesetz – PpSG) auf diese Fragen ein. Durch dieses Gesetz wurden die Absätze 2a (Vereinbarung verbindlicher Anforderungen für die Informations- und Kommunikationstechnik zum elektronischen Datenaustausch im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den stationären Pflegeeinrichtungen und geeigneten vertragsärztlichen Leistungserbringern) und 2b (Videosprechstunden sollen Verwendung finden) in den § 119b SGB V eingefügt (https://www.buzer.de/7_Pflegepersonal-Staerkungsgesetz.htm).

Ein naheliegendes und zukunftsträchtiges Anwendungsfeld für die Implementierung telemedizinischer Anwendungen mit Videounterstützung und für die Delegation von Leistungen liefert beispielsweise das im vorigen Abschnitt erwähnte Thema Wundversorgung.

Insgesamt spricht viel dafür, dass im Rahmen innovativer Pilotprojekte Defizite in den Kommunikations- und Abstimmungsprozessen beim Medikationsmanagement und beim Krankenhausentlassmanagement durch Informations- und Kommunikationstechnologien reduziert werden können.

Schlussfolgerungen
Die Wirkungen der Einführung des § 119b SGB V durch das 2008 verabschiedete Pflege-Weiterentwicklungsgesetz, die hier beispielhaft für die Pflege-Versorgungsstrukturen in Sachsen analysiert wurden, sind nicht eindeutig. 122 hausärztliche Kooperationsverträge sind bis Ende 2017 in 33 von 45 sächsischen Mittelbereichen geschlossen worden, und zwar vor allem in den städtisch geprägten Regionen. Mit Fachärzten wurden in 13 von 45 Mittelbereichen 43 Kooperationsverträge geschlossen, und zwar ebenfalls zu einem erheblichen Teil in Städten.

Weniger „weiße Flecken“ auf der Landkarte der sächsischen Mittelbereiche, nämlich nur drei, gab es Ende 2017 bezüglich der Existenz von vertragszahnärztlichen Kooperationsverträgen. Insgesamt 200 geschlossene Verträge verteilten sich auf 42 Mittelbereiche.

Auswertungen von Krankenkassendaten zeigen, dass von einer dramatischen oder flächendeckenden Unterversorgung der Pflegeheimbewohner zumindest im hausärztlichen Bereich nicht die Rede sein kann. Das gilt sowohl aktuell als auch für die Zeit vor 2008. Dabei muss die Auswertungseinschränkung in den Daten beachtet werden, dass nicht differenzierbar ist, in welchem Umfang die vertragsärztliche Versorgung nicht nur im Pflegeheim, sondern zum Teil auch in der Arztpraxis stattfindet, die Pflegeheimbewohner also in die Praxis gebracht werden.

Rettungsdiensteinsätze und Krankenhausaufenthalte sind Ereignisse, die für Bewohner von Pflegeheimen häufiger auftreten als in der übrigen Bevölkerung gleichen Alters. Etwa 15% (Rettungsdienst) bzw. 21% (Krankenhausaufenthalt) der Pflegeheim-Bewohner sind innerhalb eines Jahres davon betroffen. Das gesundheitspolitische Ziel besteht darin, insbesondere „ambulant-sensitive“ Krankenhausaufenthalte zu vermeiden, also solche, die durch Vorsorge oder rechtzeitige Intervention im ambulanten Sektor behandelbar gewesen wären (Sundmacher und Schüttig, 2015). Die vorliegende Untersuchung ergab keine belastbaren Hinweise darauf, dass durch 119b-Kooperationsverträge an dieser Stelle eine deutliche Verbesserung erreicht wurde.

Interviews in Pflegeheimen und mit Ärzten, die Pflegeheime betreuen, konnten die Ergebnisse aus den statistischen Auswertungen bestätigen und Licht auf weitere Details werfen. Deutlich wurde, dass gute und funktionierende Beispiele der Zusammenarbeit zwischen Pflegeheimen und Ärzten existieren, unabhängig von der Existenz eines 119b-Kooperationsvertrags.

Der Aufbau telemedizinischer Anwendungen bietet nach Auffassung von Pflegefachleuten ein Potenzial, knappe Ressourcen rund um die Versorgung von Menschen im Pflegeheim effizienter einzusetzen. <<

Quellen
1 Vgl. Gesetzesbegründung in Bundestagsdrucksache 16/7439, S. 97: „Die neue Vorschrift des § 119b zielt darauf ab, die gelegentlich als unzureichend beschriebene ambulante ärztliche Betreuung von Pflegebedürftigen in Pflegeheimen zu verbessern, Schnittstellenprobleme abzubauen und gleichzeitig der gesetzlichen Krankenversicherung unnötige Transport- und Krankenhauskosten zu ersparen“. https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/074/1607439.pdf
2 Der Sächsische Landesentwicklungsplan 2013 weist 45 Mittelbereiche aus. „Mittelbereich“ ist ein Begriff aus der Raumordnung. Typischerweise wird damit ein Verflechtungsbereich um ein Mittelzentrum bezeichnet, „in dem eine ausreichende Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen des gehobenen Bedarfs erfolgen soll“ (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, www.bbsr.bund.de).

Literatur
Czwikla J, Schulz M, Heinze F, et al 2019: Needs-based provision of medical care to nursing home residents: protocol for a mixed-methods study. BMJ Open 2019;9:e025614. doi:10.1136/bmjopen-2018-025614
Destatis 2017a: Pflegebedürftige nach Leistungsart und Geschlecht, Tabelle 22411-02-04-4 aus www.regionalstatistik.de
Destatis 2017b: Bevölkerung nach Geschlecht, Tabelle 12411-01-01-4 aus www.regionalstatistik.de
Dudey S, Rädel M, Priess HW, Bohm S (2019) Studie zur Evaluierung vertragsärztlicher und vertragszahnärztlicher Kooperationen mit Pflegeeinrichtungen gemäß § 119b SGB V. Untersuchung im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz. publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/33640
Rothgang H, Borchert L, Müller R, Unger R: GEK-Pflegereport 2008. Asgard-Verlag 2008
Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen 2000. Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit. Band III: „Über-, Unter- und Fehlversorgung“. Zitiert nach Bundestagsdrucksache 14/6871, dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/068/1406871.pdf
Sundmacher L, Schüttig W (2015) Which hospitalisations are ambulatory care-sensitive, to what degree, and how could the rates be reduced? Results of a group consensus study in Germany. Health Policy 11:1415–1423. doi:10.1016/j.healthpol.2015.08.007
Tsiasioti C, Behrendt S, Jürchott K, Schwinger A (2019) Pflegebedürftigkeit in Deutschland. In: Jacobs K et al., Pflege-Report 2019, Wissenschaftliches Institut der AOK, Springer Open. https://www.wido.de/publikationen-produkte/buchreihen/pflege-report/2019/
Universität Bremen 2019: Zu häufig mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus. Von Karla Götz. www.uni-bremen.de/de/universitaet/hochschulkommunikation-und-marketing/aktuelle-meldungen/detailansicht/news/detail/News/zu-haeufig-mit-dem-rettungswagen-ins-krankenhaus/

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Ausgabe 02 / 2020