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Erste „OhneArztPraxis“ startet in Baden-Württemberg

14.08.2019 12:11
In Baden-Württemberg starten die ersten Praxen Deutschlands, die nicht von Ärzten, sondern von speziell geschulten Arzthelferinnen oder Pflegekräften geführt werden. Nach zweijähriger Vorbereitungszeit öffnen ab Oktober in den Gemeinden Spiegelberg im Rems-Murr-Kreis und Zweiflingen im Hohenlohekreis zwei „TeleMedicon“-Standorte. Die Praxen sind mit speziellen telemedizinischen Geräten ausgestattet, die es den mitwirkenden Haus- und Fachärzten erlauben, sowohl eine Video-Sprechstunde mit den Patienten als auch eine große Anzahl diagnostischer Verfahren telemedizinisch durchzuführen. Damit sollen bereits bestehende oder drohende Versorgungslücken im ländlichen Raum geschlossen werden.

„Die medizinischen Fachangestellten führen die Tätigkeiten im Rahmen der ärztlichen Delegation für die teilnehmenden Ärzte aus“, sagt Dr. med. Tobias Gantner, Gründer und Geschäftsführer der PhilonMed GmbH, die das Konzept der TeleMedicon Praxen umsetzt. „Ein Ersetzen der ärztlichen Tätigkeiten durch andere medizinische Fachberufe ist nicht vorgesehen“, so der Arzt, Jurist und Gesundheitsökonom.

Telemedizin bereits weit entwickelt

Die politischen und gesetzlichen Entwicklungen der vergangenen beiden Jahre machen das Projekt in dieser Form erstmalig möglich. Inzwischen sind ausschließliche Fernbehandlungen nicht nur nach der ärztlichen Berufsordnung erlaubt, sondern seit einigen Monaten können diese auch über die kassenärztlichen Vereinigungen mit den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden. Zumindest, solange Arzt und Patient sich bereits aus vorherigen Behandlungen persönlich kennen. „Das ist der Kern des Konzepts der sogenannten „OhneArztPraxen“: Wenn der telemedizinische Patientenkontakt nicht mehr ausreicht, ist der Arzt aufgrund der kurzen Entfernungen auch kurzfristig persönlich erreichbar“, so Tobias Gantner. „Insoweit unterscheidet sich dieses Projekt von rein telemedizinischen Ansätzen, bei denen die behandelnden Ärzte irgendwo in Deutschland oder sogar im Ausland sitzen.“

Dr. Jens Steinat, Inhaber einer hausärztlichen Praxis im Nachbarort Oppenweiler, ist einer der ersten Ärzte, die sich für die Teilnahme an dem Projekt entschieden haben. "Wir versorgen bereits jetzt die Nachbargemeinden mit geringer Arztdichte oder fehlenden Hausärzten mit“, so der Arzt. „Wir wollen unseren Patienten ergänzend eine zukunftsfähige und innovative Versorgung mit telemedizinischen Möglichkeiten bieten, zusammen mit einem jederzeit möglichen persönlichen Arzt-Patientenkontakt." Technisch sei die Telemedizin heute bereits so weit entwickelt, dass für viele Untersuchungen gar kein persönlicher Kontakt mehr nötig ist. So übertragen Stethoskope die Herz- und Lungentöne über sichere Kommunikationsleitungen an entfernte Standorte, wo der Arzt sie befunden kann.

Zukünftig Versorgung mit Arzneimitteln

„Das Projekt ist auf die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger vor Ort und der Gemeinden angewiesen“, sagt Uwe Bossert, der Spiegelberger Bürgermeister. „Wir unterstützen es durch die Bereitstellung der Räumlichkeiten und der Geräteausstattung, denn eine ärztliche Versorgungsmöglichkeit im Ort halten wir für sehr wichtig.“ Die medizinische Diagnostik und Behandlung ist dabei nur ein erster Schritt. Das Konzept sieht vor, auch die Versorgung mit Arzneimitteln z.B. über elektronische Rezepte und Botendienste sicherzustellen. Auch weitere medizinische Dienstleistungen wie ein Sanitätsfachhandel oder Physiotherapie sind denkbar.

Gespräche über weitere Praxen in Deutschland

Die Förderung des Vorhabens in Höhe von knapp 200.000 Euro erfolge aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses des deutschen Bundestages. Die Projektträgerschaft erfolge über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Rahmen des Bundesprogramms für Ländliche Entwicklung. Über die politischen Standesorganisationen und Ministerien würden aktuell in vielen Regionen Deutschlands bereits Gespräche über weitere mögliche Standorte der TeleMedicon-Praxen geführt. „Moderne Versorgungskonzepte helfen den Regionen dabei, mit den Städten gleichzuziehen oder hier sogar eine bessere Versorgung anzubieten“, so Tobias Gantner.

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