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Im Profil: Dr. h. c. Helmut Hildebrandt

13.03.2024 15:10
Man muss nicht im Schwarzwald gewesen sein, um das Kinzigtal zu kennen. Wer im Gesundheitswesen unterwegs ist, dem ist das Tal schon mal begegnet – genauso wie der Initiator des Projektes „Gesundes Kinzigtal“, das 2006 als Integriertes Versorgungsmodell an den Start ging. Innovative Projekte und Netzwerke, bei denen eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung im Fokus steht, hat er schon einige auf den Weg gebracht. Seine Passion ist der Einsatz für eine diversifizierte regionale Versorgung: Als Vorstandsvorsitzender der OptiMedis AG ist Dr. h. c. Helmut Hildebrandt Vordenker für das Gesundheitssystem der Zukunft. Dabei lautet das Motto „Gesundheit für Jeden“. Ziel ist die Entwicklung evidenzbasierter, interprofessioneller Versorgungsstrukturen und Interventionen, damit alle Menschen einer Region so gesund wie möglich leben können und die Versorgenden entlastet werden.

Herr Hildebrandt, Sie arbeiten im Gesundheitswesen: Wie sind Sie da „hineingeraten“ und was fasziniert Sie an diesem Bereich?

Als Jugendlicher habe ich in der Apotheke meines Vaters mitgearbeitet und erlebt, mit welchen gesundheitlichen Alltagsproblemen die Menschen im Werra-Meißner-Kreis zu kämpfen hatten. Dieser unmittelbare Kontakt hat mich nicht wieder losgelassen. Gleichzeitig hat die 68er-Bewegung der Studenten meinen Blick auf die gesellschaftlichen Ursachen von
Erkrankungen gelenkt.

Wo haben Sie sich gesehen, als Sie die Schule beendet haben?


Letztendlich habe ich mich für ein Studium der Pharmazie entschieden, aber meine Neigungen gingen auch in Richtung Soziologie (was ich auch ein paar Semester nebenher mitstudiert habe), Politik, Psychologie sowie Chemie, Physik und Mathematik. Für mich wäre eigentlich ein Studium Generale spannend gewesen. Das gab es aber nicht. Deshalb habe ich dann die naturwissenschaftlichen Bereiche in der Pharmazie als Basis genommen und alles andere in meiner Freizeit gemacht. Ich wusste, damit kann ich später meinen Lebensunterhalt im Zweifel absichern und parallel machen, was mir gefällt.

Welche Station Ihres bisherigen Berufslebens hat Sie am meisten geprägt?

Ich hatte das Glück, nach meinem Studium mit dem Zivildienst Gesundheitsprojekte mit Kindern und ihren Eltern im Frankfurter Ostend starten zu können und damit den erweiterten bio-psychosozialen Gesundheitsbegriff auch in der konkreten Arbeit mit Kindern und Eltern aller sozialen Schichten wirklich erfahren zu können. „Wenn ich traurig bin, dann bin ich auch krank“, so lautete der Ausspruch eines marokkanischen Jungen, den ich auch zum Titel eines Buches gemacht habe. Dadurch kam ich dann in Verbindung mit der WHO-Euro, für die ich über mehrere Jahre immer wieder tätig war, so dass ich in viele Gesundheitssysteme weltweit hineinschauen konnte.

Diese Mischung aus praktischer Arbeit „ganz unten“ in der Versorgung und der Blick auf die Gesundheitssysteme „ganz oben“ hat mich eigentlich immer begleitet, ob in der Geschäftsführung von Krankenhäusern, in der Entwicklung von „Gesundes Kinzigtal“ und dem Gesundheitskiosk in Billstedt/Horn, in der Beratung von Krankenhäusern, Arztpraxen, Krankenkassen und Ministerien/Politik oder in unseren neuen (Forschungs-)Projekten, national und international. Auch die Erfahrung, zwei Jahre in einem Parlament gewesen zu sein – in diesem Fall in der Hamburger Bürgerschaft –, möchte ich nicht missen. Das kann ich jedem nur empfehlen, denn das erdet sehr gut.

Wann haben Sie Ihre aktuelle Position angetreten und was war Ihre Motivation dazu?

Mit der Beratung der damaligen Gesundheitsministerin Andrea Fischer bei der Entwicklung der Gesundheitsreform 2000 hatten wir schon die Startmöglichkeiten für regionale Versorgungslösungen angeschoben. Schnell merkte ich aber, dass sich wirklich ambitionierte Lösungen nicht aus der Position als Berater heraus aufbauen ließen. Dafür musste man schon selber „skin in the game“ geben, also auch eigenes unternehmerisches Risiko eingehen. Deshalb gründete ich 2003 neben der bereits bestehenden Beratungsfirma die OptiMedis AG mit dem Ziel, mich mit eigenem Investment und als Partner an neuen Lösungen zu beteiligen und nicht nur als Berater.

Welches Projekt, das momentan auf Ihrem Schreibtisch liegt, ist Ihnen besonders wichtig?


Eine ganz entscheidende Schwachstelle unseres Gesundheitssystems ist die auf die einzelnen Sektoren ausgerichtete bürokratische Überregulierung, die Motivation und Eigeninitiative behindert und die Akteure an den Rand der Verzweiflung und Resignation bringt. Jegliche Veränderung wird damit so schwer gemacht. Deshalb engagiere ich mich im Moment vermehrt auf der Politik- und Verbands-Ebene. Ich möchte mit den Gesundheitskiosken und den Gesundheitsregionen mehr Freiräume schaffen, damit die vielen Menschen aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen in einer Region ihre eigenen Kooperationen entwickeln können.

Deutschland ist nun mal nicht überall gleich – die Bevölkerung und die Morbidität in Nordhessen ist ganz anders als in einer Großstadt und auch dort gibt es von Stadtteil zu Stadtteil andere Bedingungen. Zusätzlich zu dem Blick auf den einzelnen Patienten müssen wir die Ausrichtung auf die jeweilige regionale Bevölkerung und die dazu gehörenden unterschiedlichen Gruppen lenken. Wenn wir für sie geeignete Organisationsformen entwickeln, können wir die lokale Gesundheit wirklich fördern und die Gesundheitsversorgung in ihrer Breite sichern. Dazu brauchen wir aber alle Berufe in ihren jeweiligen Kompetenzen gleichberechtigt nebeneinander.

Welche Frage im Bereich Pflege treibt Sie schon lange um und konnte noch nicht zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet werden?


Ein Freund aus den USA sagte mir einmal, dass er unter anderem deshalb ausgewandert sei, weil er das deutsche Gesundheitssystem als zu sehr militärisch geprägt empfunden hatte. In den USA hätte er die Kooperation zwischen den Berufsgruppen genauso wie zwischen „Anfängern“ und „Fortgeschrittenen“ als sehr viel offener und zugewandter erlebt. Ich glaube, das ist ein ganz entscheidender Faktor für die Erhaltung von Arbeitsfreude und damit für die Gewinnung der Fachkräfte, die wir für die Zukunft brauchen. Aktuell werten wir gerade für den nächsten DAK-Pflegebericht Daten zur Gesundheit von Pflegenden aus. Ich bin sehr gespannt, was dabei herauskommt.

Sie sind Bundesgesundheitsminister. Welchen Gesetzentwurf bringen Sie morgen in den Bundestag ein?

Der (vorher im breiten Dialog vorbereitete) Gesetzentwurf lautet „So sichern wir unsere Gesundheit für die Zukunft“ und enthält eine Zielfestlegung, bis wann 25 Prozent und bis wann 75 Prozent der deutschen Bevölkerung durch Verträge für Innovative Gesundheitsregionen in ihrer Gesundheit besser unterstützt und in ihrer Versorgung gesichert werden. Mit einem „Nationalen Aktionsplan“ werden Anreize für alle Akteure in den Regionen, in den Landesgremien und in den Krankenkassen geschaffen, um sich für eine bessere Kooperation und Integration auf den Weg zu machen.

Die Bürger werden regional nicht mehr als Objekte der Planung, sondern als Mitakteure einbezogen und die Lust auf die Tätigkeit in den Gesundheitsberufen gestärkt. In eine erfolgreiche Primär- wie Sekundärprävention und adäquate Versorgungseinrichtungen wird investiert werden können, weil klar ist, dass die daraus entstehenden Einsparungen gegenüber der althergebrachten „normalen“ Versorgung auch wieder denen zugutekommen, die die Veränderungen initiiert und finanziert haben.