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„Das neue Begutachtungsinstrument – wie bewährt es sich in der Praxis?”

30.03.2015 16:20
Abstract des Vortrags von Dr. Peter Pick auf dem Deutschen Pflegetag 2015
Der aktuell gültige Pflegebedürftigkeitsbegriff und das daran ausgerichtete Begutachtungsverfahren werden seit Einführung der Pflegeversicherung kritisiert, weil der Hilfebedarf bei Menschen mit demenziellen Erkrankungen, mit geistigen Behinderungen oder mit chronisch-psychischen Erkrankungen nicht angemessen berücksichtigt wird. Des Weiteren ist die Bemessung des Hilfebedarfs anhand von Pflegeminuten Gegenstand vielfältiger Kritik.
Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff legt den Grad der Selbstständigkeit bzw. der Beeinträchtigung von Selbstständigkeit und damit das Angewiesensein auf pflegerische Hilfe als zentralen Maßstab zur Bemessung von Pflegebedürftigkeit zugrunde. Das neue Begutachtungsassessment erfasst nicht nur die klassischen Hilfebedarfe bei Körperpflege, Ernährung, Mobilität und in der hauswirtschaftlichen Versorgung. Neu ist, dass die kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten, das soziale Verhalten und psychische  Problemlagen sowie die Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte gleichgewichtig betrachtet werden. Eingang findet ebenfalls der Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen im Zusammenhang mit der Behandlungspflege. Damit soll das neue Begutachtungsassessment die Hilfebedarfe und Problemlagen von Pflegebedürftigen in umfassender Weise erfassen, egal ob sie in körperlichen Einschränkungen oder in gerontopsychiatrischen Beeinträchtigungen begründet sind.
Mit Blick auf die von der Bundesregierung angekündigte Einführung des neuen Pflege-bedürftigkeitsbegriffs hat in 2014 eine vertiefende Erprobung des neuen Begutachtungs-assessments auf seine Praktikabilität stattgefunden. Auftraggeber der Praktikabilitätsstudie ist der GKV-Spitzenverband, der diesen Auftrag in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit vergeben hat. Die Praktikabiliätsstudie ist in Zusammenarbeit des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbands Bund (MDS) und der Hochschule für Gesundheit in Bochum durchgeführt worden An der Studie haben alle MDK, der Sozialmedizinische Dienst der Bundesknappschaft und Medicproof als Gutachterdienst der privaten Pflegeversicherung mitgewirkt. Im Rahmen der Studie sind ca. 1.700 Erwachsene und 300 Kinder nach dem neuen Begutachtungsassessment (NBA) und dem gültigen Verfahren begutachtet worden. Die beteiligten 86 Gutachter haben ihre Erfahrungen mit dem neuen Instrument berichtet, die im Rahmen der Studie thematisierten Fragen beantwortet und ihre Einschätzungen der Wirkungen des neuen Instruments auf die anderen Beteiligten dargestellt.
In der Studie konnte die Praktikabilität des NBA bestätigt werden. Die Gutachterinnen und Gutachter bestätigten nicht nur die Praktikabilität des NBA in der Begutachtungssituation. Sie sehen das NBA besser geeignet, eine gutachterliche Einschätzung der Pflegebedürftigkeit als auch ihrer Graduierung vorzunehmen. Durch die Beteiligung an der Studie wurden die Gutachter für den anstehenden Perspektivenwechsel sensibilisiert, denn dem neuen Pflegebedürftig-keitsbegriff liegt als Fokus die Erhebung der Ressourcen und nicht der Defizite zugrunde. Diese Änderung wurde auch von den begutachteten Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen wahrgenommen, die das neue Verfahren als deutlich wertschätzender bewerteten. Zu erwarten ist deshalb, dass das neue Verfahren eine höhere Akzeptanz bei Versicherten und Angehörigen finden wird.
Darüber hinaus wurden in der Studie noch offene Fragen aus dem Expertenbeirat zur Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs beantwortet. So konnte bestätigt werden, dass es für die besondere Bedarfskonstellation einer vollen Gebrauchsunfähigkeit der Arme und Beine angemessen ist, unabhängig von der erzielten Punktwertung eine Einstufung in die Bedarfsgruppe 5 vorzunehmen ist. Ebenso wurde als angemessen bewertet, dass Kinder in der Altersgruppe von 0-18 Monaten im Rahmen einer Begutachtung für diesen Zeitraum pauschal in einen Pflegegrad eingestuft werden können. Zum Dritten wird anknüpfend an das NBA eine fokussierte Erhebung des Rehabilitationsbedarfs bei den Pflegebedürftigen vorgeschlagen. Damit liegen Empfehlungen für die Modifizierung des NBA vor seiner gesetzlichen Einführung vor.  
Nicht zuletzt wurden in der Studie Erkenntnisse für die Einführungsphase der Implementation des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs erhoben. So konnten Hinweise zu Überarbeitung der Begutachtungsmanuale erarbeitet und die entsprechenden Ausfüllhinweise konkretisiert werden. Darüber hinaus wurden Vorschläge für ein Begutachtungsformular sowohl für die Erwachsenen als auch für die Kinder erarbeitet.
Auch konnte ein Wunsch nach Beratung identifiziert werden, dem durch eine Impulsberatung des MDK im Sinne einer verbesserten Versorgung entsprochen werden kann. Ebenso wurde das Schulungskonzept für die Gutachterinnen und Gutachter überabeitet und kann damit Grundlage der Schulung in der Einführungsphase sein. Außerdem wurden Vorschläge für eine begleitende Informationspolitik vorgelegt. Denn das neue Begutachtungsgsverfahren ist für die Pflegebe-dürftigen und ihre Angehörigen, aber auch für alle in der Pflege Arbeitenden und die in der Pflegeberatung Tätigen transparent zu machen.

Ausgabe 02 / 2015