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Mehr Weselsky wagen?

08.05.2024 10:05
Die größte Herausforderung in der stationären Krankenhausversorgung bleibt der Fachkräftemangel in der Pflege, wie aus der Studie „Personalnotstand im Krankenhaus – Quo vadis?“ der BDO Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) hervorgeht. Fast 94 % der deutschen Krankenhäuser haben Schwierigkeiten, offene Stellen auf den Allgemeinstationen zu besetzen. Auf drei Vierteln der Intensivstationen fehlen qualifizierte Pflegekräfte, und in zwei Dritteln der Krankenhäuser mit Pädiatrie sind Stellen in der Kinderkrankenpflege unbesetzt.

Die BDO/DKI-Studie 2023 zur Krankenhausversorgung in Deutschland betont den Fachkräftemangel als zentrale Herausforderung. In der Studie wurden 111 Allgemeinkrankenhäuser ab 50 Betten befragt. Krankenhäuser unter 50 Betten wurden nicht einbezogen. Die Befragung wurde von Juli bis September 2023 durchgeführt und von den Geschäftsführungen der Krankenhäuser ausgefüllt. Die Ergebnisse sind repräsentativ und zeigen, dass der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen dringend bewältigt werden muss.

In den von Stellenbesetzungsproblemen betroffenen Krankenhäusern sind 8 % der Vollzeitstellen auf den Allgemeinstationen unbesetzt, während jeweils 12 % der Stellen in der Intensivpflege und der Kinderkrankenpflege vakant sind. Dies sind alarmierende Zahlen, die die Dringlichkeit des Problems verdeutlichen.

 

 

Der Fachkräftemangel in der Pflege hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Im Jahr 2016 hatten beispielsweise nur etwa die Hälfte der Kliniken Probleme bei der Besetzung von Stellen in der Pflege auf Allgemeinstationen und in der Intensivpflege.Für die nahe Zukunft sehen die Krankenhäuser keine positive Entwicklung. Wenn sie drei Jahre vorausblicken, erwarten 75 % der Häuser eine Verschlechterung der Stellensituation in der Intensivpflege und sogar 86 % eine Verschlechterung der Stellensituation auf den Allgemeinstationen.

Die Gründe dafür sind vielfältig und umfassen fehlende geeignete Bewerber, die Überlastung des Pflegepersonals, die Zunahme von Teilzeitarbeit und der Renteneintritt von Pflegenden.Um dieser negativen Entwicklung entgegenzuwirken, ergreifen die Krankenhäuser verschiedene Maßnahmen zur Mitarbeitendenakquise.

Dazu gehören die Zusicherung der Übernahme von Auszubildenden nach Abschluss ihrer Ausbildung, der Ausbau der Ausbildungskapazitäten, die Anwerbung von Pflegefachpersonal aus dem Ausland und die verstärkte Einstellungen von Altenpflegekräften.Die geplanten Reformen im Krankenhausbereich, wie die Fortschreibung der Pflegepersonaluntergrenzen, die Konzentration von Krankenhausstandorten und die generalistische Pflegeausbildung, werden von den Krankenhäusern nicht als Lösung für die Personalsituation in der Pflege angesehen.Auch im Bereich der Krankenhaus-IT herrscht Fachkräftemangel.

Etwa drei Viertel der Krankenhäuser haben Schwierigkeiten, offene Stellen für IT-Fachkräfte zu besetzen. Im Durchschnitt können 14 % der IT-Stellen nicht besetzt werden. Dies liegt vor allem an finanziellen Gründen, wie den unflexiblen Tarifstrukturen im Krankenhaussektor und der niedrigeren Bezahlung im Vergleich zur privaten Wirtschaft.


Interview mit Dr. Karl Blum, Vorstand Deutsches Krankenhausinstitut e.V., Leiter Geschäftsbereich Forschung. Foto: DKI

Herr Dr. Blum, im Rahmen der BDO/DKI-Studie 2023 „Personalnotstand im Krankenhaus – Quo vadis?“ wird gefordert, die Aus- und Weiterbildungskapazitäten in der Pflege deutlich auszubauen. In welcher Form sollte dies erfolgen?
Die Ausbildungskapazitäten in der Pflege sind in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut worden. In Zukunft wird es darum gehen, diesen Prozess zu verstetigen und die Ausbildungsplätze noch stärker auszubauen als bisher. Dies setzt ein entsprechendes Engagement der staatlichen und privaten Schulträger sowie der praktisch ausbildenden Gesundheitseinrichtungen voraus.

Die zusätzlichen Ausbildungskapazitäten müssen aber auch ausreichend gegenfinanziert sein. Hier sind Politik und Selbstverwaltung gefragt. Wenn der Pflegeberuf attraktiver werden soll, müssen auch die Weiterbildungen ausgebaut und diversifiziert und die akademische Pflege gestärkt werden. Die Pflege braucht klare Qualifizierungs- und Aufstiegsoptionen.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Krankenhäuser von den Neuregelungen und geplanten Reformen überwiegend keine nennenswerten Effekte auf die Personalsituation in der Pflege erwarten. Als Beispiele werden hier die Fortschreibung der Pflegepersonaluntergrenzen, die stärkere Konzentration von Krankenhausstandorten oder die generalistische Pflegeausbildung genannt; es gibt jedoch auch gegenteilige Meinungen, wie die des Bundesgesundheitsministers. Sehen Sie hier Potenzial für die Bewältigung des Fachkräftemangels?
Die Skepsis der Krankenhäuser ist ernst zu nehmen. Sie haben festgestellt, dass die Untergrenzen ihre Personalsituation nicht verbessert haben. Es muss zudem offenbleiben,  inwieweit Pflegekräfte bei Schließungen kleinerer Standorte in größere und weiter entfernte Standorte wechseln. Die Einführung der PPR 2.0 bietet sicherlich gute Voraussetzungen, die Stellensituation in der Pflege längerfristig zu verbessern.

Allerdings sind auch die Krankenhäuser gefragt, durch attraktive Arbeitsbedingungen den Pflegeberuf attraktiver zu machen, etwa durch Angebote familienorientierten und alter(n)sgerechten Arbeitens, durch Personal- und Führungskräfteentwicklung oder ein betriebliches Gesundheitsmanagement. Politik und Selbstverwaltung können ihren Teil beisteuern, indem sie die Pflege über einen gezielten und nachhaltigen Bürokratieabbau von überbordender Dokumentation entlasten. Damit bleibt mehr Zeit für die pflegerischen Kernaufgaben am Patienten.

Auch bezüglich der IT-Fachkräfte im Krankenhaus fordern Sie von der Politik und den Krankenhäusern gänzlich neue Wege bei der Gewinnung. Was sind hier Ihre Vorschläge für die jeweiligen Stakeholder?
Das spezifische Anforderungsprofil für die Krankenhaus-IT ist am Markt wenig verfügbar. Daneben können unter anderem eine schlechtere Bezahlung als außerhalb des Krankenhauses, ein wenig attraktives Image des Krankenhauses als Arbeitgeber für IT-Fachkräfte oder geringe Möglichkeiten zur eigenen Softwareentwicklung die Besetzung offener IT-Stellen zumindest teilweise beeinträchtigen.

Die Defizitanalyse zeigt deutlich mögliche Handlungsoptionen auf. Aus-, Fort und Weiterbildung müssen ausgebaut und das Qualifikationsprofil geschärft und diversifiziert werden. Die Digitalisierung im Krankenhaus im Allgemeinen und der Ausbau von Telemedizin und Telematik im Besonderen bieten hier neue und anspruchsvolle Aufgaben für die Krankenhaus-IT. Am Ende des Tages muss sie natürlich auch bei der Bezahlung wettbewerbsfähig sein.

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