Sie sind hier: Startseite Abstracts Kurzfassungen 2016 Pionierarbeit in Rheinland-Pfalz

Pionierarbeit in Rheinland-Pfalz

30.12.2016 16:20
Es ist ein bundesweites Novum: Die erste Realisierung einer Pflegekammer in Deutschland jährt sich bald zum ersten Mal. Zeit, auf Vergangenes und Zukünftiges mit dem ersten, am 2. März 2016 gewählten Präsidenten der rheinland-pfälzischen Pflegekammer, Dr. Markus Mai, zu blicken. Der gelernte Krankenpfleger und Pflegewissenschaftler ist stellvertretender Pflegedirektor im Brüderkrankenhaus Trier und hat die Leitung des Fachbereichs Gesundheitsdienste (Pflege) in der Zentrale der BBT-Gruppe inne. Er packt damit an, was für die Weiterentwicklung des Berufsfeldes Pflege existenziell ist und will mit der Kammer die Position der Pflege langfristig stärken. Der Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit ist der Landespflegekammer als erstem Projekt dieser Art sicher, auch wenn durchaus noch einige Kammergegner unterwegs sind. Doch gilt es, auf dem Weg zur Bundespflegekammer weitere Bundesländer von der Stärkung der Pflege durch eine Verkammerung zu überzeugen.
>> Im Januar 2015 errichtet und mit der Verabschiedung der Hauptsatzung – im Rahmen der ersten Vertreterversammlung am 26. Januar 2016 – erfolgreich konstituiert, hat die Landespflegekammer das erste Jahr nun fast hinter sich. Herr Dr. Mai, wie geht es Ihnen heute? Sind Sie nach wie vor Feuer und Flamme oder hat sich Ernüchterung breit gemacht?
Natürlich bin ich noch Feuer und Flamme. Das liegt aber auch in meiner Natur: Wenn ich etwas anpacke, dann stehe ich hundertprozentig dahinter. Sicherlich sind auch Dinge nicht so gelaufen, wie erwartet, aber das ist, denke ich, normal, wenn man Neues entwickelt.
Ernüchterung hat sich in soweit breit gemacht, dass ich sage: Bestimmte Dinge hätte ich mir auch schneller gewünscht. Auf der anderen Seite muss man realistisch bleiben und sehen, dass wir als Vorstand ja erst seit März zusammenarbeiten. Ich glaube, wir haben in den letzten sechs bis sieben Monaten schon relativ viel geschafft, was sich derzeit auch in der Resonanz zeigt, die wir erhalten. Medial werden wir stärker wahrgenommen, indem Pressemitteilungen häufiger veröffentlicht werden und man uns zunehmend aufgrund unserer Positionierungen kontaktiert und in der Regel auch positive Rückmeldungen gibt. Das hält aufrecht und sorgt dafür, dass das Feuer nicht erlischt.

Über welche Entwicklung freuen Sie sich besonders und was hat Sie überrascht?
Besonders erfreut bin ich darüber, dass die Vertreterversammlung nach einer anfänglichen Phase der Findung doch nunmehr wirklich als eine Verantwortungsgemeinschaft zusammengefunden hat. Als Gemeinschaft, in der sich jeder offen mit seinen Fähigkeiten einbringt, sodass mittlerweile wirklich eine gute Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Kolleginnen und Kollegen möglich ist. Das ist unheimlich wichtig, da die Vertreterversammlung ja letztlich das Parlament der Pflege ist. Bisher haben recht viele Sitzungen stattgefunden, da wir grundsätzliche Dinge wie Satzungen und Ordnungen auf den Weg bringen mussten. Doch das wird im nächsten Jahr reduziert, damit die Vertreter sich in ihrem regionalen Kontext einbringen und sich an der Ausschuss- und AG-Arbeit beteiligen können. Das sind ja Aktivitäten neben der Vertreterversammlung, die sich in den nächsten Jahren noch intensivieren werden. Wir haben auch als Vorstand durch die zahlreichen Sitzungen gut zusammengefunden.
Besonders freue ich mich natürlich, dass es relativ schnell gelungen ist, diese substanziellen Ordnungen – also die Beitragsordnung, auch die Hauptsatzung, die Entschädigungsordnung – doch mit einer relativ großen Zustimmung der Vertreterversammlung auf den Weg zu bringen.  Dadurch ist es uns auch gelungen, die finanzielle Grundlage der Kammer zu sichern, was ja von Anfang an einer der wichtigsten Aspekte war. Die finanzielle Stabilität war mir von Beginn an ein ganz hohes Anliegen, denn wir können ja nicht Jahrzehnte auf Kredit leben und somit in Abhängigkeit.
Womit ich auch sehr zufrieden bin, ist, dass wir nun Ausschüsse gegründet haben, die inhaltliches Arbeiten ermöglichen und damit die strukturelle Arbeit ergänzen. Wir haben einen Ausschuss für Langzeitpflege, eine AG für Berufsfeldentwicklung, Ethik und für Berufsordnung. Darin arbeiten wir jetzt mit den Kolleginnen und Kollegen im Land, da das für unsere zukünftige Positionierung eine wichtige Grundlage ist. Also, es gibt viele Sachen, die mich froh stimmen.

Ja, das ist erfreulich, hoffentlich sind das mehr Dinge, als solche, die als Hindernis auftreten, vielleicht auch in einer Dimension, die Sie so nicht erwartet haben?
Suboptimal war die Art und Weise, wie die Beitragsforderung rausgegangen ist. Die Reaktionen darauf haben mich in der Dimension überrascht aber wir haben daraus gelernt. Wir schauen auch, welche Argumente die Kammergegner ins Feld führen. Aber ich sage ganz deutlich: Ich orientiere mich nicht an den Gegnern. Ich orientiere mich schon ein Stück weit an Hindernissen, doch wir haben den Blick nach vorne gerichtet. Wir wollen ja unseren Berufsstand weiterentwickeln und nicht in irgendwelche Diskussionen mit den Gegnern eintreten, ob jetzt eine Verkammerung sinnvoll ist oder nicht. Da sind wir unterschiedlicher Meinung, was wir auch akzeptieren. Wir bieten die Möglichkeit des Mitwirkens, des Mitmachens an, so kann jeder Einzelne Einfluss auf die Entwicklung des Berufsstandes nehmen.

Natürlich. Man kann sich ja in diesem Fall nur klar positionieren und versuchen mit der Arbeit, die man leistet zu überzeugen.
Genau, wir wollen mit der Arbeit überzeugen, deswegen müssen wir aufpassen, dass wir uns nicht zu stark auf die Gegner fokussieren. Da besteht schon die Gefahr, dass man sich zu stark darauf einlässt und das Wesentliche aus dem Blick verliert. Das ist schon mein Ziel, dass das nicht passiert.

Welche relevanten Fragen kann die Kammer für den Berufsstand der Pflege denn jetzt selbst in die Hand nehmen und bestimmen?
Die Selbstverwaltung ist das Kernelement. Sie bezieht sich zum Beispiel auf die Berufsordnung, die – so sage ich immer – unser Grundgesetz der Berufsausübung in der Zukunft ist. Und in der Berufsordnung orientieren wir uns im Moment, sondieren, wie das im Ausland geregelt ist und betrachten auch Berufsordnungen anderer Berufe, die verkammert sind. Unser Ziel ist eine hochmoderne Berufsordnung, aus der sich bestimmte Rechte und Pflichten ableiten lassen, die definieren, was letztlich pflegerische Berufsausübung ist. Diese Möglichkeit der Ausgestaltung ist schon ein Privileg, das nicht in vielen Berufen zu finden ist.
Das Zweite ist, dass die Kammer auch autonom regeln kann, welche Fort- und Weiterbildungssysteme es in Zukunft gibt, weil der Staat diese Aufgabe der Kammer übertragen hat. Damit können wir wesentlich flexibler auf die Bedürfnisse des Pflegefeldes reagieren und Weiterbildungsangebote anpassen und müssen diese Aufgabe nicht Politikern oder pflegefremden Interessenvertretern überlassen, die der Pflege fern sind.
Ein dritter Aspekt, der relevant ist, manifestiert sich in der vom Gesetzgeber auferlegten berufsfachlichen, -rechtlichen und -ethischen Beratung durch die Kammer. Und da gibt es schon einige Anfragen von Mitgliedern, ganz unterschiedlicher Perspektive, was dazu führt, dass wir einen Antwortpool aufbauen. Via FAQ oder Portalen werden wir rechtssichere Empfehlungen für die Mitglieder bereitstellen.

Damit hat die Kammer ja weitreichende Kompetenzen. Aber kann sie damit gegen das Potenzial der Gewerkschaften ankommen?
Für uns ist die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ja auch ein großes Anliegen. Dafür nutzen wir eben andere Instrumente, indem wir die Politik konfrontieren oder die Öffentlichkeit nutzen.  
Die Gewerkschaft hat darüber hinaus das Instrument zu streiken, um die Ziele zu erreichen und das muss sich eben ergänzen, denn die Gewerkschaft kommt erstens nicht überall hin, weil es bestimmte Bereiche gibt, wo sie gar keinen Zugang hat: Schauen Sie in die zahlreichen konfessionellen Betriebe oder auf viele Privatunternehmen, bei denen die einfach keinen Fuß in die Tür bekommen. Und für eine offene Kommunikation mit der Gewerkschaft ist nicht jeder Akteur bereit. Beispielsweise eine Krankenhaus- oder eine Pflegegesellschaft, die jedoch mit der Kammer redet, weil diese 100% aller Pflegekräfte eines Bundeslandes vertritt und das ist eben eine andere Hausnummer.
Deswegen muss jeder Akteur wissen, wo er steht, wo er hilfreich ist und wo er wirkt, aber eben auch, wo er nicht wirken kann. Deshalb brauchen wir Kammern, Gewerkschaften und Berufsverbände, um unser System weiterzuentwickeln.

Wirken sich die Maßnahmen der Kammer denn auch auf die Arbeitgeber aus?
Solch ein System wirkt im Prinzip über die Mitglieder in die Unternehmen hinein. Und wenn es in den Unternehmen wirkt, dann kann es letztendlich auch finanzielle Konsequenzen mit dem Ziel einer angemessenen Professionellen Versorgung haben.

In welcher Form differieren die Ambitionen der Kammer darüber hinaus mit den Möglichkeiten der Verbände, Organisationen oder Vereine sich für die Beschäftigten in der Pflege einzusetzen ?
Die differieren zum einen in der Art und Weise der Ansprechpartner, die differieren auch in der Positionsmacht. Pflegeverbände und die Gewerkschaft haben eine andere Positionsmacht. In Rheinland-Pfalz vertreten wir 40.000 pflegerische Berufsangehörige. Da können Gewerkschaften und Berufsverbände nicht mithalten. Ein anderes Beispiel ist die Einladung zu parlamentarischen Abenden. Da wurden sie als Berufsverband vorher nicht berücksichtigt, werden aber als Kammer regelmäßig eingeladen und haben dadurch natürlich auch die Möglichkeit, kontinuierlich Gespräche zu führen und sich zu vernetzen. Das ist die Differenz. Ansonsten differieren wir in den Themen gar nicht groß.
Zum Beispiel das Thema Arbeitsbelastung. Wenn die Gewerkschaft behauptet, es sei ihr Thema, ist das absurd. Ob das jetzt berufspolitische Themen sind oder Gewerkschaftsthemen – mit Ausnahme von Tarifverhandlungen – das sind Themen unserer Mitglieder, die wir dann auch gerne weitergeben an die Gewerkschaft. Wir unterstützen die Gewerkschaften so bei ihrem Bild, was sie sich über die Profession Pflege macht. Also da bieten wir qualitative Zusammenarbeit auf breiter Basis an.

Das betrifft dann auch den Fachkräftemangel, der aufgrund der sich wandelnden demografischen Rahmenbedingungen zunimmt, wie Sie kürzlich in einer Studie dargelegt haben. Demnach sind mit 29,2% die größte Gruppe der Pflegefachpersonen in der Kohorte der 51- bis 60-Jährigen zu finden. Für die kommenden Jahre prognostizieren Sie ein insgesamt sinkendes Niveau, was die Quantität von Pflegefachpersonen angeht.
Dem müssen wir entgegenwirken. Wenn wir den Fachkräftemangel jetzt nicht bekämpfen, dann gehen in 10 bis 15 Jahren die Lichter aus. Dann wird folgendes passieren: Attraktive Arbeitsplätze, und die befinden sich im Moment in der Regel beispielsweise im Krankenhaus, werden vermehrt angestrebt. Dann müssen sich die Arbeitgeber im Bereich der stationären und der ambulanten Pflege Gedanken machen, um auch attraktive Arbeitsplätze aufzubauen, was nur durch die Faktoren Arbeitsbedingungen oder Geld funktioniert. Das heißt, wir werden zusätzlich viel, viel Geld in das System reinstecken müssen. Alles andere, was Politiker so an Vorstellungen haben, wie man das erreichen kann – mit ehrenamtlichem Engagement oder ähnlichem – das wird so nicht funktionieren. Das geht im ersten Schritt nur mit wirklich viel mehr Geld und das wird sich letztlich auf die Beitragssätze auswirken oder den Steuerzahler belasten. Sonst wird es nicht gelingen, diese Entwicklung diametral zu verändern und wir müssen eigentlich jetzt anfangen, damit in fünf Jahren schon die ersten massiven Aufwärtsbewegungen festzustellen sind.
Der zweite Punkt ist: Wir brauchen die Generalistik – und zwar aus dem Grund, weil sonst die Altenpflege absolut abgehängt wird. Sie ist jetzt schon das Sparschwein der Nation – überall dort, wo Altenpfleger bevorzugt eingestellt werden, wird oft auch schlechter bezahlt, sind die Arbeitsbedingungen schlechter und warum soll dann in Zukunft ein junger Mensch noch in die Altenpflege gehen? Die Löhne sind derzeit von einer geringen Höhe, sodass die Renten relativ knapp sind und in vielen Bereichen noch nicht einmal eine Zusatzversorgung außerhalb von tariflichen Regelungen gewährt wird. Das ist doch nicht in Ordnung.
Die Ansicht der Politiker, die gegen die Generalistik sind und behaupten, dass die Altenpflege in der Konkurrenz mit anderen Pflegefeldern erst recht untergeht, die wird sich meiner Meinung nach nicht bestätigen. Wenn wir die Altenpflege jetzt abhängen, dann wird sich durch die Abqualifizierung die Frühausstiegsquote in dem Bereich wesentlich erhöhen und wir haben gar nichts erreicht. Die größte Sorge der Politiker oder der privaten Anbieterverbände ist, dass die einheitliche Regelung einen Zugang mit Hauptschulabschluss ausschließt und dadurch der Pool an möglichen Interessenten kleiner wird. Wir sagen: Wenn man das Niveau senkt, dann wird der Beruf in der gesellschaftlichen Wahrnehmung auch abgesenkt. Und das kann ja nicht der richtige Weg sein. Wenn die Gesellschaft in Zukunft ordentlich gepflegt werden will – und so viele ausländische Pflegekräfte kann man gar nicht reinholen, wie gebraucht werden – dann muss sie jetzt etwas tun!

Sie haben eingeräumt, dass auch Sie Fehler gemacht haben – was  nachvollziehbar ist, wenn man Arbeitsprozesse zum ersten Mal durchläuft. Da passieren mit Sicherheit auch Dinge, von denen man im Nachhinein denkt, dass man sie hätte anders machen können.
Ja, da gab es, wie eben schon angedeutet, auch Fehler in der Kommunikation. Vom Grunde her war es allerdings von vorneherein klar, dass eine Kammer eine Pflichtmitgliedschaft und einen Pflichtbeitrag mit sich bringt. Der Pflichtbeitrag versetzt uns in die Lage, unabhängig zu sein. Wir sind nicht abhängig von irgendwelchen Verbänden, Gewerkschaften oder von der Politik. Wir bekommen keine Gelder vom Land, sondern wir finanzieren uns durch unsere eigenen Mitgliedsbeiträge, die die Mitglieder in die Kammer investieren. Das, in der durchaus berechtigten Hoffnung, dass sich ihr Berufsstand fachlich, inhaltlich und strukturell in ihrem Sinne weiterentwickelt und parallel über die dadurch gewonnene verbesserte gesellschaftliche Anerkennung sich die Arbeitsbedingungen verbessern, und sich das in der Konsequenz für sie, mit Unterstützung der Gewerkschaften, auch in barer Münze auszahlt.
Das erfordert im Prinzip, dass jeder mitmacht. Also Pflichtmitgliedschaft, weil es eine berufliche Vertretung und Aufsicht ist, die sich ja letztlich auf alle Berufsangehörigen auswirkt und da müssen auch alle Mitglied sein.

Wie wollen Sie die Kommunikation beziehungsweise die berufliche Informationen verbessern?
Wir bereiten gerade ein „Kammerblatt“ vor, mit dem wir die Idee eines modernen Kommunikationsmediums umsetzen wollen. Gegebenenfalls eine neue Fachzeitschrift, die allen Kammermitgliedern zur Verfügung steht, wo wir zum einen Fach- und Berufsrechtliche – sowie Kammerinformationen in regelmäßigen Abständen an die Mitglieder heranbringen. Daneben soll es ein Infoportal geben, eventuell später eine App, die regelmäßig mit Themen bespielt wird. Da führen wir derzeit mit einigen großen Anbietern Gespräche und unser Ziel ist, im ersten Quartal 2017 da auch einen ersten Wurf zu machen.
Das Zweite ist: Wir sind ja eine Mitmachkammer. Wir werden demnächst die Mitglieder alle noch einmal um das Reflektieren und Einbringen von Eckpunkten für eine zukünftige Berufsordnung bitten. Ich habe ja vorhin gesagt, die Berufsordnung ist das Grundgesetz der pflegerischen Berufsausübung und da soll nach unserer Auffassung jedes Mitglied die Gelegenheit haben, etwas dazu sagen zu können, bevor das letztendlich durch die Vertreterversammlung verabschiedet wird.

Was sagen Sie Kritikern, die Ihnen vorwerfen, der Vorstand sei „zu weit weg vom Bett“?
Ich frage mich, was die Kolleginnen und Kollegen, die so etwas äußern, für ein Bild von Pflege haben. Wir sehen die Pflege umfassend und da gehört natürlich auch der Bereich dazu, der „fern vom Bett“ ist. Wir haben in der Vertreterversammlung sehr viele KollegInnen, die am Bett stehen und haben zudem im Vorstand solche Leute. Ich bin auch Krankenpfleger. Zur Bearbeitung der vor uns stehenden Herausforderung benötigen wir ein breites Profil an Kompetenzen aus allen unterschiedlichen Bereichen des Pflegeberufsfeldes. Dazu gehören einerseits Pflegekräfte aus der direkten Bewohner- oder Patientenversorgung. Daneben werden aber auch Kolleginnen und Kollegen aus der indirekten Versorgung, beispielsweise aus Forschung, Lehre und Management benötigt, um möglichst viel für unseren Berufsstand zu erreichen. In keinem anderen Berufsstand ist beispielsweise die Akademisierung so verpönt, wie in unserem Beruf. In anderen Berufen ist man stolz, dass es die Möglichkeit gibt, sich zu akademisieren, hier hat man immer das Gefühl, sich als Akademisierter rechtfertigen zu müssen. Ich sehe die Gefahr, dass sich die Berufspraxis dadurch eigentlich selbst abwertet, indem sie solche Dinge in Frage stellt.

Werfen wir einen Blick in andere Bundesländer, die mit einer Landespflegekammer auch in den Startlöchern stehen. Bayern geht hier aktuell einen anderen Weg und hat sich für eine freiwillige Interessensvertretung entschieden.
Die bayrische Lösung ist eine Chimäre. Man versucht der Pflege hier etwas vorzugaukeln, was im Prinzip nicht zu erfüllen ist. Es ist keine Kammer mit Selbstverwaltungsanspruch. Hier wird vorgetäuscht: Hey, ihr könnt was machen, aber im Kernbereich gibt es keine Handlungsfähigkeit.
Der eine Kernbereich ist die Berufsordnung, die hier erst mal ausgeklammert ist. Eigentlich ist das schon eine Unverschämtheit, dass ein Gesetzgeber diesen Passus streicht, denn, wenn ich eine Selbstverwaltung mache, ist essentiell, dass ich selbst entscheiden kann, wann ich die Berufsordnung einführe. Außerdem hat die Berufsordung nicht für alle Berufsangehörigen in Bayern Gültigkeit, da hier keine Pflichtmitgliedschaft besteht. Wenn nur 30 Prozent beitreten, vertritt die Vereinigung eben nur 30 Prozent der Pflege in Bayern. Habe ich die Absicht, meinen Berufsstand weiterentwickeln und Regeln aufzustellen, die für die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung letztendlich tragend sein sollen – und das ist ja auch ein gesellschaftlicher Aspekt – dann müssen sich alle Berufsangehörigen daran halten. Das heißt, sie sind auch Pflichtmitglied; Kammer ohne Pflichtmitgliedschaft gibt es nicht.

Stichwort Unabhängigkeit.
Wenn Sie bei einer derart angedachten Lösung den politisch Verantwortlichen zu oft über den Mund fahren, dann müssen sie morgen die Auswirkungen wie beispielsweise die Reduktion der zugebilligten Mittel befürchten. Ich kenne das in Rheinland-Pfalz zwar nicht so. Hier haben wir als Dachverband der Pflegeorganisationen(DPO) über mehr als zehn Jahre finanzielle Mittel zum Betrieb einer Geschäftsstelle vom Land erhalten. Aber hier nehme ich auch eine deutliche Pro-Pflege-Kultur bei allen politisch Verantwortlichen wahr. Die Bayrische Pflege hat eine Organisation verdient, die sie unabhängig vertritt und keine, bei der das Beeinflussungsrisiko schon vorher im Geseztestext einkalkuliert wurde.
Die Interessensvertretung in Bayern soll zwar Fort- und Weiterbildung regeln, hat aber keine Autonomie. Die Vertreterversammlung hat das Beiratsvotum zu akzeptieren und der Beirat ist zusammengesetzt aus Arbeitgebervertretern und Pflegevertretern. Diese Entwicklung bewerte ich eigentlich als eine Abwertung für die Pflege, während mit einer Kammer der Pflegeberuf wirklich aufgewertet wird. In Bayern traut man der Pflege das nicht zu.

Die Abstimmung der Pflegefachkräfte fiel in Bayern pro Pflegekammer aus. Wie ist dann dieser Vorgang zu erklären?
Da spielen machtpolitische Interessen eine große Rolle. Vornehmlich private Arbeitgeber und Gewerkschaft – hier primär DGB oder verdi – halten massiv dagegen und fügen der beruflichen Pflege dadurch massiven Schaden zu. Einfach, weil sie Eigeninteressen haben und ihnen eigentlich der Status quo des Systems in die Karten spielt, sonst würden sie Maßnahmen zur Änderung ergreifen.

Was bedeutet das für die geplante Bundespflegekammer?
Die Bayern werden so keine Mitbestimmungsrechte in der Bundespflegekammer haben, wenn es nach uns geht. Die Bundespflegekammer ist die Vertretung der kammerpolitischen Interessen auf der Bundesebene. Die Bundespflegekammer wird entweder ein Verein oder eine Arbeitsgemeinschaft (AG) sein, die sich aus den Landeskammern zusammensetzt, wie die Ärztekammer zum Beispiel auch. Wir streben möglichst schnell diese Vertretung an, aber wir haben im Moment erst eine Landeskammer, blicken jedoch hoffnungsvoll nach Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Mit denen gemeinsam sind wir jetzt auch schon im Gespräch. Bundespflegekammer ist eine Sache der Landeskammern, nicht irgendwelcher Verbände oder Gewerkschaften, und wir werden zu geeigneter Zeit eine Bundespflegekammer etablieren. Vielleicht auch schon, bevor überall Landeskammern existieren, aber wenn die Vereinigung bayrischer Pflege nicht die Pflichtmitgliedschaft sowie eine unabhängige Finanzierung einführt, dann wird sie keinen Sitz in der Bundespflegekammer haben, da dort nur Organisationen sitzen werden, die Körperschaften öffentlichen Rechts sind und die zweitens die gesamte Pflege in einem Bundesland vertreten können. Und das geht eben nur über Pflichtmitgliedschaft. Das ist ein demokratischer Grundsatz, den müssen wir auch da berücksichtigen.
Gegebenenfalls wird es mehrere Stufen eines Bundespflegekammeraufbaus geben. Auf jeden Fall wollen wir möglichst schnell mit unseren Kammern in Berlin präsent sein. Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir bereits im nächsten Jahr eine Präsenz in Berlin haben, um die Kammerstrukturen dort aufzubauen. Das könnte die Entwicklung auf Landesebene im Umkehrschluss auch noch einmal forcieren.

Wo steht die Landespflegekammer Rheinland-Pfalz in einem Jahr?
Im Optimum haben wir die Berufsordnung verabschiedet und im Feld auch schon allen Mitgliedern etwas an die Hand gegeben, was eine Grundlage für die Berufsausübung in der Zukunft ist.
Im Optimum haben wir im nächsten Jahr einen Pflegegipfel gehabt, an dem Kammern, Berufsverbände und Gewerkschaften teilgenommen haben und wir als Pflege unsere Positionen für die Zukunft lokalisiert haben.
Im Optimum haben wir Ende des Jahres 2017 eine sehr fortschrittliches Fort- und Weiterbildungsordnung, die wir den Mitgliedern auch an die Hand geben können.
Im Optimum haben wir die Beratung der Mitglieder so optimiert, dass wir auf möglichst viele Fragen gute und kompetente Antworten geben können.
Im Optimum ist es uns gelungen, regionale Strukturen aufzubauen, in denen sich die Mitglieder noch mehr als heute in Arbeitsgruppen, Gesprächskreisen, in Jour fixes – in die sich auch die wissenschaftlichen KollegInnen einbringen – beteiligen können.
Im Optimum sind wir angekommen, haben uns mit diesem Politik-Geschäft arrangiert und können 2018 mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein, das durch eine gestärkte Position und Struktur gespeist wird, auftreten.

Herr Dr. Mai, vielen Dank für das Gespräch. <<

Das Interview führte MoPf-Redakteurin Kerstin Müller.

Ausgabe 04 / 2016