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Aufmerksamkeit schaffen

10.10.2017 12:52
„Wir alle wissen, wie wichtig sowohl die Berufsgruppe der Pflegenden als auch die Pflege durch Angehörige in den eigenen vier Wänden sind. Trotzdem wird der Pflege in unserem Land immer noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt“, sagt Mario Czaja. Der ehemalige Berliner Senator für Gesundheit und Soziales engagiert sich beim Marie Simon Pflegepreis, weil durch diese Auszeichnung die Pflege mehr Sichtbarkeit erlangt. Der Preis wird von spectrumK in Kooperation mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund vergeben. Innovative Lösungsansätze für die Schaffung altersgerechter Strukturen werden dabei prämiert. Und die müssen gar nicht komplex, sondern nur kreativ sein, wie Beispiele zeigen.
>> Zivilgesellschaftliches Engagement wird dabei ganz groß geschrieben. „Engagierte Akteure vor Ort wie Vereine, Verbände, Kirchen sind für uns zentrale Partner, wenn es darum geht, sich um die Belange hochaltriger Menschen zu kümmern“, sagt Dr. Gerd Landsberg, geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Der Gewinner des Marie Simon Pflegepreises 2016, die Hamburger Initiative „Wege aus der Einsamkeit e.V.“ sei ein wunderbares Beispiel dafür, wie es gelingen könne, Isolation und Vereinsamung zu überwinden, führt Landsberg weiter aus.

Der Hamburger Verein bietet Schulungen für Menschen über 65 Jahre an, die zielgruppengerechtes Know-how in Bezug auf die Nutzung digitaler Medien erlernen wollen. „Die Welt wird immer digitaler und es ist wichtig, auch Menschen 65+ in diese Welt mitzunehmen“, erklärt Dagmar Hirche, Vorstandsmitglied des Vereines, die Motivation zu diesem Angebot. Mit dem erworbenen digitalen Wissen sei es älteren Menschen länger möglich, ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden zu führen, so Hirche.

„Der Preis gibt den innovativen Projekten der Pflege in unserem Land Präsenz und Ehre zugleich“, bewertet Czaja die Auszeichnung. Der ehemalige Berliner Senator für Gesundheit und Soziales hat nicht den Eindruck, dass alle Akteure – „und damit meine ich die Selbstverwaltung des Gesundheits- und Pflegesystems ebenso wie die Politik“ – verstanden hätten, dass mit der Errungenschaft des längeren und gesünderen Alterns auch die Attraktivität der Pflegeberufe gesteigert werden müsse, wie auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen der pflegenden Angehörigen. „Wir brauchen u.a. eine schnelle Umsetzung des Pflegeberufegesetzes, mehr Dialog zwischen allen Heilberufen, die Nutzung der Digitalisierung zur Entlastung von Bürokratie, zur weiteren Etablierung von intelligenten Assistenzprodukten und der Stärkung der Vernetzung der Sektoren“, zählt Czaja auf und hält außerdem die Schaffung von Pflegekammern und nicht zuletzt weitere materielle Verbesserungen für pflegende Angehörige für notwendig. Der Marie Simon Preis könne seinen Teil dazu beitragen.

„Wir müssen neue Ansätze, Ideen und Modelle aufspüren und – wenn machbar – für deren Verbreitung sorgen“, appelliert Professor Dr. Ursula Lehr, Vizepräsidentin Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) e.V., Bundesministerin a. D., die wie Czaja als Mitglied der Jury in diesem Jahr die besten Projekte ermittelt.

„Der Marie Simon Pflegepreis hat unserem Projekt viel Aufmerksamkeit verschafft und wir konnten auch unsere Forderungen nach freiem WLAN in Altenheimen/Seniorenwohnanlagen verstärkt vorbringen“, lässt Hirche das letzte Jahr Revue passieren. Doch damit nicht genug: „Wege aus der Einsamkeit e.V. ist für den Deutschen Engagementpreis nominiert. Dieser „Dachpreis für freiwilliges Engagement“ wird am 5. Dezember 2017 verliehen und vielleicht können sich die Hamburger ja freuen.

Individuelles Potenzial nutzen

Der Marie Simon Preis könne auch dazu beitragen, pflegende Angehörige in den Fokus zu rücken, die einen Großteil der Pflege in Deutschland leisten. „Die nötige Aufmerksamkeit gibt es dafür leider immer noch nicht“, bedauert Czaja, kündigt aber an, dass „auch in diesem Jahr wieder ganz besondere Projekte dabei sein,werden, die das gesellschaftliche Miteinander enorm positiv verändern können“.

So gewann im Jahr 2015 ein Projekt, bei dem bürgerschaftliches Engagement im Vordergrund steht. Der Verein Seniorengemeinschaft Kronach Stadt und Land e. V. hat mit rund 650 Mitgliedern im Alter zwischen 14 und 99 Jahren viel individuelles Potenzial, das je nach Bedarf eingesetzt wird. „Für eine 80-jährige Dame ist schon das Auswechseln einer Glühbirne eine kaum zu bewältigende Hürde. Oder der große Einkauf, der in unserer ländlichen Region ohne Auto meist nicht bewältigt werden kann“, sagt Bianca Fischer-Kilian, die den Verein 2010 gründete. Jeder setzt dort seine Fähigkeiten ein, wo er dies kann. „Das ist für beide Seiten ein gutes Gefühl. Und es trägt dazu bei, dass ältere Menschen länger selbstbestimmt in ihren eigenen vier Wänden leben können und eben nicht so schnell zum akuten Pflegefall werden.“

Die Digitalisierung spielt dabei auch hier eine immer größere Rolle. „Der Trend ist bei den Bewerbern erkennbar“, urteilt Czaja, dem wichtig ist zu betonen, dass „Gesundheit und Pflege immer ein Dienst von Menschen für Menschen bleibt“, die Digitalsierung diese Arbeit jedoch maßgeblich verbessern und entlasten könne. „Besonders schön ist daher, wenn unter den Projekten Ideen entdeckt werden, die die Digitalisierung für eine weitere Stärkung der Pflege anwenden,“ findet Czaja und Professor Lehr lässt durchblicken, dass Digitalisierung in einem relativ geringen Prozentsatz der eingereichten Projekte direkt angesprochen wird, wenngleich auch „äußerst interessante“ Projekte dabei seien. „Hier erwarte ich in Zukunft eine Steigerung.“ Man darf gespannt sein, wer den Preis als Gewinner am 9. November mit nach Hause nehmen darf. <<

Ausgabe 04 / 2017