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21.01.2017 16:20
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe setzt mit der Schlussfolgerung der Expertenkommission „Pflegepersonal im Krankenhaus“ um, was Torsten Rantzsch grundsätzlich begrüßt, aber differenziert ausgestaltet wissen will. Rantzsch ist Pflegedirektor am Universitätsklinikum Düsseldorf (UKD) und Vorstandsvorsitzender des Managementverbandes der Pflegedirektorinnen und Pflegedirektoren der Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen Deutschlands e.V. (VPU). Die 34 in diesem Verband organisierten Pflegedirektorinnen und Pflegedirektoren repräsentieren etwa 60.000 Pflegende an deutschen Universitätskliniken. Ziel der Verbandsarbeit ist die Verbesserung der Rahmenbedingungen für eine qualitätsorientierte Pflege. Der VPU versteht sich dabei als Sparringpartner und Berater der Politik.
>> „Dass Herr Gröhe die Expertenkommission für die Festlegung der Personaluntergrenzen nutzt, halten wir für den richtigen Weg, weil dort Pflege vertreten ist“, erklärt Rantzsch und meint damit unter anderem den Deutschen Pflegerat, in dem auch der VPU Mitglied ist. Man müsse aber genau lesen, was der Gesundheitsminister da gesagt habe, fordert er. Gelingt es der Selbstverwaltung nicht, bis Ende Juni 2018 verbindliche Personaluntergrenzen in den festgelegten Bereichen zu vereinbaren, schalte sich das Bundesgesundheitsministerium wieder ein und setze diese per Rechtsverordnung fest. Um rechtzeitig eine bestmögliche Lösung bezüglich der Untergrenzen zu finden, bietet Rantzsch auch die Mitarbeit des VPU an. Dass sich Engagement auf der politischen Bühne auszahlt, davon ist er überzeugt: Der VPU habe beispielsweise dafür gekämpft, dass der in 2016 auslaufende Versorgungszuschlag zum Pflegezuschlag geworden ist.

„Leider war Gröhe im zweiten Schritt nicht bereit, die Nachweispflicht über den Wirtschaftsprüfer einzuführen“, moniert Rantzsch und macht klar, dass diese besonders dort notwendig ist, wo die Pflegedirektoren aus den Vorstandsebenen hinausgedrängt werden. „Das ist ein echtes Dilemma“, klagt er und befürchtet ein Versickern des Betrages, wenn dieser im allgemeinen Topf verbleibt. Vor diesem Problem steht Rantzsch allerdings selbst nicht: Der Pflegezuschlag für das UKD in einer Höhe von 1,94 Mio Euro, was 31 Vollkraftstellen entspricht, ist im Wirtschaftsplan ausgewiesen.

„Und es bleibt ja nicht bei den 500 Millionen“, so der Pflegedirektor weiter, „wir wissen ja, dass das Pflegestellenförderprogramm nach dreijähriger Phase eben auch dauerhaft implementiert wird und wir dann bei den 830 Mio sind. Umso mehr begrüßen wir, dass Herr Gröhe die Nachweispflicht mit den Personaluntergrenzen nun doch einführen will.“ Bevor diese jedoch greifen kann, muss erst einmal definiert werden, wo Untergrenzen gelten sollen. „Was sind denn die ,pflegesensitiven Bereiche‘?“, fragt Rantzsch nach der sehr offen gehaltenen Formulierung in der Schlussfolgerung. Dann komme die Andeutung zu Intensivstation und Nachtdienst. Um mehr gehe es ja wahrscheinlich nicht. Oder heißt sensitiv doch noch mal etwas anderes? „Klar ist“, so der VPU-Vorstandsvorsitzende, „dass man durch den Gesundheitstarifvertrag der Charitè auf den Intensivstationen guckt. Das war der Auslöser.“ Er zollt seinen Kollegen in Berlin für diesen Kraftakt großen Respekt.

Statt von „pflegesensitiv“ spricht Rantzsch jedoch lieber von „bedarfsorientiert“. „Wir setzen uns für eine Personalausstattung ein, die sich am tatsächlichen Bedarf orientiert.“ Seine Bezugsgröße ist dabei die Fallschwere, an der er auch die Diversität der unterschiedlichen Einrichtungen bezüglich des Bedarfs festmacht. Die Einführung verbindlicher, starrer Personaluntergrenzen, die pauschal für alle Krankenhäuser und alle Stationen gelten, könne den spezifischen Anforderungen der einzelnen Häuser nicht gerecht werden. Wie soll man auch ein Universitätsklinikum als Supramaximalversorger mit einem Maximalversorger oder der Grundregelversorgung vergleichen? Es müsse hier differenziert werden. In den Angloamerikanischen Ländern mache das Sinn, weil dort die Aufgaben einer Krankenschwester ganz anders seien. „Die haben eine Gatekeeper-Funktion. Hier macht die Krankenschwester noch die gesamte Grundpflege, wo fängt man da an, Personaluntergrenzen zu ziehen – gerade in der Relation Patient pro Schwester?“

Betrachte man den Case Mix Index, der am UKD beipielsweise bei 1,7 liege, weise er dagegen in Allgemeinkrankenhäusern oft nur die Größe 1 auf. Die Schweregrade differierten deutlich und so führe an der bedarfsorientierten Personalausstattung kein Weg vorbei. Denn auch die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens müsse – im Sinne aller – schließlich im Auge behalten werden. Das bedinge ebenso, dass es mittlerweile Stationen gebe, auf denen die Betreuung aller Klientel vorgehalten werde. Leere Betten kann man sich nämlich nicht leisten und so findet sich ein Kind auch schon mal neben einem Erwachsenen wieder, was breit qualifiziertes Personal erfordert.

Torsten Rantzsch weist darauf hin, dass es ja bereits eine Personaluntergrenze in Deutschland gebe. Den Betreuungsschlüssel von 1:1 für Neugeborene unter 1.500 g, den eine G-BA-Richtlinie aus dem Jahr 2013 für die Personalausstattung auf neonatologischen Intensivstationen unter gewissen Voraussetzungen vorgebe, könne derzeit jedoch kaum ein Krankenhaus vorhalten. Ein Konzept zu den Untergrenzen müsse genau dies definieren. Wo kommen die zusätzlichen Kräfte her, die meist im Umgang mit Akutfällen gebraucht werden? Denn zu 75% könne man heute einschätzen, welche Leistung zu welchem Zeitpunkt gebraucht werde, berichtet der Pflegedirektor aus Erfahrung. Hier wäre ein Pool denkbar, aus dem man kurzfristig schöpft oder vielleicht eine Kooperation mit einer Zeitarbeitsfirma.

Ob Generalistik, Aus- und Weiterbildung oder Akademisierung: Jetzt, so Rantzsch, stehe – im Hinblick auf die Bundestagswahl und die kommunizierten Absichten der Parteien – das Fenster offen und müsse genutzt werden. Im Sinne der beruflich Pflegenden – und der Patienten. <<

Ausgabe 02 / 2017