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„Pflege ist erwachsen“

21.01.2017 16:20
„Wir sind hier nicht zusammengekommen, um zu jammern und zu klagen, sondern wollen Aufbruchsstimmung vermitteln“, gab der Präsident des Deutschen Pflegerates, Andreas Westerfellhaus, die Marschrichtung für den Deutschen Pflegetag 2017 vor. Großen Raum nahm dabei das virulente Thema Generalistik ein, das Westerfellhaus aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtete, dabei Kritiker in ihre Schranken wies und eins ganz klar machte: „Wir wollen keine Spaltung. Im Gegenteil. Alle sind unverzichtbar.“ Es gehe um die Stärkung der Profession und die Zukunftsfähigkeit des Berufsbildes. Die Diskussion um die Reform der Pflegeberufe habe außerdem deutlich gezeigt, dass eine Selbstverwaltung der Pflege obligatorisch sei. Will die Pflege in Zukunft jedoch mit einheitlicher Stimme eine starke, autonome Position vertreten, bedarf es des Engagements der Pflegenden – und der Politik.
>> Nachdem Senatorin Dilek Kolat (siehe auch Titelinterview) mit den politischen Pflege-News aus der Hauptstadt die Bühne für Andreas Westerfellhaus bereitet hatte, feierte dieser zuerst das Publikum. Waren doch so viele Besucher gekommen, dass in der Haupthalle nicht genügend Platz vorhanden und in einem Nebenraum Public Viewing angesagt war. Rund 8.000 Besucher ließen Westerfellhaus das „Wagnis“ der Etablierung des Deutschen Pflegetages in nunmehr 4. Auflage als Erfolg verbuchen.

Beim Dank an Kolat ließ der Präsident des Deutschen Pflegerates es sich nicht nehmen, der Berliner Senatorin zum Aufbau der neuen Abteilung Pflege zu gratulieren und ihr im selben Atemzug die Einrichtung des Ressorts Pflegekammer wärmstens „ans Herz zu legen“. Nachdem die Präsidiumsmitglieder des Deutschen Pflege-
rates, die Ratsmitgleider und Gertrud Stöcker als Ehrenpräsidentin begrüßt waren, richtete Westerfellhaus besondere Worte an Professor Michael Isfort, der  am Abend zuvor mit dem Deutschen Pflegegpreis 2017 ausgezeichnet worden war. „Was du für die Profession Pflege in Deutschland tust ist bemerkenswert. Du hast diese Auszeichnung verdient“, laudatierte der Vortragende, bevor er auch speziell die Kammervertreter aus nunmehr drei Bundesländern begrüßte.

„Wir sind viele“, proklamierte Westerfellhaus und jeder Einzelne könne etwas für die Profession ausrichten. „Zum Beispiel Wählen gehen“ und die Kandidaten dazu befragen, wohin die Reise mit ihnen in Sachen Pflege denn geht. „Ich möchte zu Beginn meiner Rede eins klarstellen: Wir und ich stehen hier nicht als Bittsteller gegenüber den poiltischen Mandatsträgern oder denen, die sich zur Wahl stellen, nach dem Motto: Wir sind auch mal dran, tut endlich was für uns. Nein. Wir stehen hier mit Erwartungen und Forderungen.“ Die Profession Pflege brauche endlich Handlungsinstrumente zur Ausgestaltung ihres Berufes an die Hand.

„Worum geht‘s denn?“

„Es geht doch nicht darum, die Ideologie einer Berufsgruppe zu befriedigen“, stellte Westerfellhaus fest. „Sondern es geht um eine qualifizierte Versorgungssicherheit der Menschen in dieser Gesellschaft.“ Das nahende Ende der Legislaturperiode lade zu einem Rückblick ein, meinte der Referent und resümierte, was denn tatsächlich umgsetzt wurde.
Die Pflegestärkungsgesetze I-III wurden beschlossen und umgesetzt. Hinzu kam die Einsetzung einer Expertenkommission „Pflege im Krankenhaus“, ein neues Pflegestellenförderprogramm sowie die Umwidmung des Versorgungszuschlages in Höhe von 550 Mio Euro. Die Verabschiedung eines eHealth-Gesetzes, ohne Schreib- und Leseberechtigung der Pflegenden sei ein Skandal, so Westerfellhaus.

Nicht zu vergessen sei darüber hinaus die geplante Einführung des Pflegeberufereformgesetzes, einer generalistischen Pflegeausbildung mit Schwerpunktbildung. Dieser  Prozess sei für ihn beispielhaft, so der Pflegerat-Präsident. „Beispielhaft, wie einerseits mit viel Ernsthaftigkeit an der Lösung von längst überfälligen Gesetzgebungsverfahren gearbeitet wird. Allerdings auch, wie wenig Kompetenz unserer Berufsgruppe von einigen politischen Akteuren zugesprochen wird.“ Denn bei der Gesetzesentwicklung hätte keine andere Berufsgruppe eine solche Einmischung geduldet, ist sich Westerfellhaus sicher. Die mächtigen Lobbyistengruppen versuchten, ihren Einfluss geltend zu machen, um eine Weiterentwicklung der professionellen Pflege zu verhindern. „Die Angst vor einer starken, selbstbewussten Profession Pflege muss wohl sehr ausgeprägt sein“, mutmaßte Westerfellhaus.

Er reflektierte daraufhin den seit 2015 andauernden Gesetzgebungsprozess zur Pflegeberufereform, der bis dato nicht über einen Kompromissvorschlag der Koalitionsfraktionen hinausgekommen ist.

Aus der Diskussion heraushalten

Der Vortragende monierte im Folgenden teils widersprüchliche Argumente von Gegnern der Reform. Einige Verbände hätten in der Diskussion die Berufsgruppe Pflege plötzlich als Thema entdeckt: „Wo waren denn die Entrüstungsstürme der Institutionen, als es um die Arbeitsbedingungen im Fachkräftemangel ging?“, fragte Westerfellhaus.
Bass erstaunt sei er auch über diverse Mails von plötzlich auf der Bildfläche erscheinenden Ärzteverbänden, pädiatrische oder gerontopsychiatrische etc., gewesen, die sich gegen die Ausbildungsweiterentwicklung wendeten, wobei er mit dem Marburger Bund eine positive Ausnahme einräumte: Der Vorsitzende Dr. Rudolf Henke habe die Mitglieder im Frühjahr 2016 vor dem Deutschen Ärztetag aufgefordert, sich aus der Diskussion herauszuhalten. „Bravo“, rief Westerfellhaus. Selbst generalistisch ausgebildet – „wie alle anderen Gesundheitsberufe übrigens auch“ – ließ Westerfellhaus die Absurdität der Kritik aus Teilen der Ärzteschaft bezüglich angenommener Qualitätsverluste in der Ausbildung durch die Generalistik anklingen. Durch dieses Ausbildungsmodell solle die Alten- und Kinderpflege keineswegs  abgeschafft werden, sondern Ziel sei die Weiterentwicklung der Profession, die nur mit einem gesamten Pflegebildungskonzept von einer bundeseinheitlichen Pflegeassistentenausbildung, einer generalistischen Pflegeausbildung mit Schwerpunktbildung und unter Einbindung akademischer, grundständiger Qualifikation, dem Anschluss von Fachweiterbildungen sowie weiterführenden Studiengängen sinnvoll sei.

Er berichtete außerdem von Sanktionsandrohungen durch Arbeitgeber wie: „Wenn das Gesetz kommt, dann schließen wir unsere Ausbildungsstelle.“ Für den Präsidenten des Pflegerates eine ganz klare Sache: „Was für ein Eigentor für diese Arbeitgeber. Die haben die Welt wohl nicht verstanden.“
Auch für die Befürchtung um die Abwanderung in jeweilge andere Sektoren hatte Westerfellhaus nur ein müdes Lächeln übrig: „Ja, wohin denn bitte? Attraktivität der Arbeitsplätze: Der Arbeitgeber bestimmt diese Wanderungsrichtung.“

Fit für die Zukunft

Eine Ausbildungsverbesserung in Theorie und Praxis sei selbstverständliches Ziel des Deutschen Pflegerates. Zukunftsfähige Ausbildungsstätten mit qualifizierten Pädagogen und einheitlichen Schlüsseln von Lehrer- und Schülerverhältnissen von 1:15 machte Westerfellhaus als weitere Ziele aus. Die Kritik, dass mit diesem Modell die praktischen Ausbildungspartner überlastet würden, ließ er nicht gelten und die Monierung „fehlender Wertschöpfung“ während der Ausbildung bedachte der Vortragende mit einem höhnischen Stirnrunzeln: „Wer qualifizierten Nachwuchs in der Praxis und im Beruf haben will, der muss gerade diesen jungen Menschen eine Perspektive bieten. Der muss ihnen Raum geben. Der muss ihnen Wertschätzung geben“, forderte Westerfellhaus.

Das Pflegeberufereformgesetz fest im Blick, appellierte er an seine Kollegen in allen Sektoren: „Werdet wach. Hier geht es um mehr als ein Wort ,Generalistik‘ als emotionaler Katalysator oder eine neue Berufsbezeichnung. Hier geht es um ein neues Kompetenzgefüge.“ Westerfellhaus bedauerte, dass eine solche Diskussion nur durch eine fehlende Selbstverwaltung überhaupt möglich sei.

„Scheitert die Generalistik, dann scheitert die geplante Aufwertung der Pflegeberufe“, proklamierte er und forderte die Politik dazu auf, im Wahljahr ein Zeichen für die Pflegenden zu setzen.
Der Prozess dieser Gesetzgebung sei ein Paradebeispiel dafür, wie andere auf dem Rücken der Pflege ihre Interessen durchsetzten und Westerfellhaus hält daher eine Selbstverwaltung auf Bundes- wie auf Landesebene für obligatorisch. „Pflege ist erwachsen“, rief er aus, könne für sich selber sprechen, wie alle anderen Berufsgruppen auch. Mit der Aufforderung an die Berufsangehörigen, ihre Stärke auch nach außen zu tragen und mit Engagement die Profession zu stärken – auch durch Mitgliedschaften in Berufsverbänden und Gewerkschaften – thematisierte er die kontrovers, weil beitragspflichtig, diskutierten Pflegekammern.
Doch was die Zahntechniker, Hörgeräteakustiker oder Lotsen könnten, das kann die Pflege schon lange: „Habt Mut. Nehmt es in die Hand und gestaltet“,  rief er den Pflegenden zu. Darüber hinaus müsse man nach außen einheitlich auftreten und für Gesellschaft, Politik und Industrie einen eindeutigen Ansprechpartner anbieten. Eine Kammerbildung sei also absolut notwendig.

Die Gesellschaft als Verbündeter

Neben der ausführlich behandelten Generalistik brannten Westerfellhaus jedoch noch weitere Themen unter den Nägeln, wie zum Beispiel der Fachkräftemangel. Seine Analyse: „Wir sind einfach zu wenige, für das Aufgabenspektrum, welchem wir in allen Sektoren gegenüberstehen.“ Freie Stellen, zunehmender Leistungsdruck und Arbeitsausfall sowie Berufsausstieg ließen sich durch Prozessänderung zwar minimieren, jedoch nicht wegdiskutieren. Die Sicherheit der Patienten legitimiert nach Meinung des Pflegerat-Präsidenten die Diskussion um eine Personalbemessung – „und zwar mit Fachpflegekräften“.
Für die Politik hielt Westerfellhaus folgende Forderungen parat, wie:

• Reformgesetze nicht nur immer auf ihre Finanzierbarkeit zu überprüfen, sondern auch Prozesse einzuleiten, die genügend qualifiziertes Personal gewähleisten
• eine angemessene tarifliche Entlohnung
• ausreichend finanzierte Bildung, Weiterbildung und Studium
• klar beschriebene Karriereentwicklung
• Weiterentwicklung der Aufgabenfelder professionell Pflegender
• klar beschriebene Eigenverantwortung
• Wertschätzung durch Politik und Arbeitgeber
• flächendeckendes betriebliches Gesundheitsmanagement.

„Eins habe ich in den Jahren als Präsident gelernt: Wir müssen weitere Verbündete suchen. Machen wir die Gesellschaft doch einfach zu unserem Verbündeten. Pflege geht uns alle an“, sagte Westerfellhaus und stellte fest, dass es in Zukunft valide Daten brauche, um Fakten und Forderungen durch Zahlen zu belegen und ein Handeln zu fordern. Er stellte dazu die Initiierung eines Care-Klima-Index in Aussicht, der 2017 zum ersten Mal Zahlen liefern soll.

Zum Schluss gab es Standing Ovations für den letztmalig auf dem Deutschen Pflegetag auftretenden  Andreas Westerfellhaus in der Funktion des Präsidenten des Deutschen Pflegerates. <<

Ausgabe 02 / 2017