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„Rückenwind für alle Menschen“

21.01.2017 16:20
„Ich betrachte Ihre Ungeduld als unseren Rückenwind, in der Pflege gemeinsame Ziele zu erreichen“, schüttete Bundesminister Hermann Gröhe gleich ein ganzes Füllhorn an Lob über Vorredner Westerfellhaus aus. Vieles, was lange liegengeblieben sei, konnte nur angepackt werden, „weil Sie Druck gemacht haben. Und damit dürfen Sie auch nicht aufhören“, forderte der Minister vom bald aus dem Amt scheidenden Westerfellhaus. Doch das durch dessen Engagement durchaus gestärkte Selbstbewusstsein der Pflege weise eine große Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung auf, so Gröhe. Laut Umfrageergebnissen rangierten die Pflegeberufe in Bezug auf das Vertrauen in die Berufsbilder ganz oben.
>> „Wenn man die Werte für Priester und Politiker addiert, ist man noch nicht bei den Pflegern“, berichtete er schmunzelnd aus dem Ergebniskeller der Umfrage, bevor er  den Einsatz der Pflegekräfte vor dem Hintergrund der Anschläge in London und Berlin lobte. Das Ziel sei, auch für solche Notsituationen verbesserte Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Zwei öffentlich wahrgenommene Pflegestärkungsgesetze bezeichnete Gröhe als „einmaligen Kraftakt in der Geschichte unserer sozialen Sicherungssysteme“. Es war ihm jedoch wichtig, auch die pflegenden Angehörigen mit ins Boot zu holen, denn „wir brauchen Rückenwind für alle Menschen, die es als ihre Aufgabe ansehen, für Pflegebedürftige da zu sein“. Deshalb habe man im Leistungskatalog auch Änderungen vorgenommen, die ganz stark auf die Situation der pflegenden Angehörigen zielen. Im PSG I sei bereits eine bessere Absicherung der Zahlung von Tariflöhnen in der hauptberuflichen Pflege verankert worden. „Und wir haben das PSG III nicht zur Freude aller Arbeitgeber dazu genutzt zu sagen, wer als nicht tarifgebundener Arbeitgeber bei Kostenverhandlungen den Kassen erklärt, Messlatte für seine Personalkosten sei der Tariflohn, der muss anschließend zeigen, dass er den Tariflohn auch tatsächlich zahlt.“

Dass der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff mit dem PSG II nun endlich Anwendung findet, freute den Minister besonders, sind nun auch demeziell Erkrankte gleichermaßen anspruchsberechtigt. Der Minister machte darauf aufmerksam, dass dies jedoch nur mit einer entsprechenden Personalausstattung praktikabel sei und aus diesem Grund seit dem 1. Januar 2017 die Personalschlüssel neu verhandelt werden müssen. „Das ist mitunter ein bisschen unter den Tisch gekehrt worden, weil alle darauf geschaut haben, dass wir auch gesagt haben bis 2020 brauchen wir ein erprobtes, wissenschaftlich fundiertes Personalbemessungsverfahren.“ In elf Bundesländern seien spürbare Verbesserungen durch die Neuverhandlungen erzielt worden. Doch vor allem der nächste Schritt sei von großer Bedeutung: Die auch auf Landesebene lange geführte Diskussion, wie ein wissenschaftlich fundiertes Personalbemessungsverfahren eigentlich aussieht. „Und da ist lange nichts passiert“, sodass die Konsequenz der klare gesetzgeberische Auftrag an die Vertragspartner auf Bundesebene sei, das zu erarbeiten.

Zusätzliche Betreuungsassistenten, die Vereinheitlichung des altenpflegebedingten Eigenanteils – welche letztlich auch eine reale Einschätzung des Pflegebedarfs ermögliche – Entbürokratisierung, das Pflegestellenförderprogramm sowie die Umwandlung des Versorgungszuschlages in einen Pflegezuschlag zählte der Bundesgesundheitsminister als Erfolge der Legislaturperiode auf.

Gerade letztgenanntes hob er für den Krankenhausbereich hervor, da hierdurch der Krankenhausmanager, der sein Haus adäquat mit Pflegekräften ausstatte, auch eine bessere Berücksichtigung in der Krankenhausfinanzierung erfahre. Im Zuge dessen rückte Gröhe die Expertenkommission in den Fokus, die 10 Monate früher als geplant ihre Arbeit vollenden konnte und bereits im Februar 2017 die Ergebnisse präsentiert hatte. So sind nun Krankenhausgesellschaft und Krankenkassen verpflichtet festzulegen, in welchen pflegesensitiven Bereichen Untergrenzen sinnvoll sind und in welchem Maße.

Und der Minister macht Dampf: „Um die Termintreue der Verhandlungspartner zu stärken, haben wir gesagt, ihr schafft das sicher in einem Jahr, sonst ermächtigen wir das Bundesgesundheitsministerium zu einer Satzvornahme.“  Laut Gröhe standen in der Kommission bis zu 70 Prozent der Bereiche für eine Festlegung von Untergrenzen im Raum, aber die Festlegung liegt nun erst einmal bei den Verhandlungspartnern.

Neben dieser längerfristigen Maßnahme will Gröhe schon jetzt in die Kalkulation der Fallpauschalen die neuen Pflegegrade über die Prozedurenschlüssel eingepflegt wissen, und damit erreichen, dass der erhöhte Pflegebedarf bei demeziell Erkrankten – denn dort gibt es die größte Veränderung durch die Höherstufung – sich in angemessener Weise in der Vergütung wie auch letztlich im erhöhten Personalbedarf widerspiegele.
Doch woher kommen die zusätzlichen Kräfte? Momentan gebe es einen Run auf die Pflege, so Gröhe, aber die Herausforderung liege darin, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Kräfte auch bleiben werden. Dafür müsse jeder Einzelne mit seiner Stimme sorgen und sich aktiv beteiligen. Hier liegt für den Minister großes Potenzial im betrieblichen Gesundheitsmanagement, das im eigenen Interesse von den Arbeitgebern gesehen und genutzt werden sollte.

Natürlich fehlte auch das Thema Pflegeberufereform in Gröhes Rede nicht und so machte er klar, dass eine Reform an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen ausgerichtet sein müsse. Einsatzmöglichkeiten und nicht zuletzt auch Aufstiegschancen würden durch die Generalistik gestärkt. „Wenn es bei den einen (Pflegeheimbetreiber, die nicht nach Tarif zahlen, Anm. d. Red.) die Sorge gibt, die Altenpflege könnte am Ende besser bezahlt werden, dann verstehe ich nicht, warum ausgerechnet ver.di und DGB sich in den Reihen der Generalistikgegner finden“, wurde der Minister noch seine Gewerkschaftskritik los. Gute Kompromisse seien hier aber möglich und müssten auch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden. <<

Ausgabe 02 / 2017