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Der Fehler liegt im System

21.01.2017 16:20
Karl-Josef Laumann hat Pionierarbeit geleistet. Als erster Pflegebevollmächtigter einer Bundesregierung konnte er sich intensiv mit der Profession beschäftigen, was er wohl als Gewinn empfindet. „Ich bin deshalb gerne hier, weil die Pflege ohne Zweifel der sympathischere Teil der deutschen Gesundheitspolitik ist.“ Ein klares Statement auf dem 4. Deutschen Pflegetag. Politik und Gesellschaft müsse der Stellenwert der Pflege im System bewusst werden und so fordert Laumann eine institutionelle Lösung der Selbstverwaltungsfrage, die die einzige Möglichkeit sei, um die Profession zukunftsfähig zu machen. Dass Transparenz dabei eine ganz große Rolle spielt, machte er am Beispiel der DRG oder der dualen Krankenhausfinanzierung deutlich.

>> „Das Thema Pflege ist in Deutschland – auch in unserer Gesellschaft – nie so intensiv diskutiert worden wie im lezten Jahr“, stieg Laumann in seine Rede auf dem Deutschen Pflegetag ein. Halle 3 ist bis auf den letzten Platz besetzt, gerade hat Andreas Westerfellhaus die Bühne verlassen. Er hat Laumanns Einsatz gelobt und sich für eine sehr gute Zusammenarbeit bedankt. Die Chemie hat gestimmt. Nach Westerfellhaus‘ emotionaler Rede, der oft wie Gewehrsalven niedergehende Worte auf die Zuhörer feuerte, schien das Auditorium jetzt wieder in ruhigeres Fahrwasser zu gelangen.

Die Politik habe sich bisher aus vielen Verteilungsfragen des Gesundheitssystems herausgehalten, „weil wir das der Selbstverwaltung überlassen haben“, sagt Laumann und wertet die fachliche Auseinandersetzung und Ausgestaltung des SGB V durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als Gewinn. Als er die Zusammensetzung der Gremien anspricht, ist Kritik zu vernehmen, da neben Ärzten, Kostenträgern und Krankenhäusern – diese meist mit ihren kaufmännischen Direktoren seien – keine Pflege auszumachen ist. Laumann outet sich selbst als anfänglicher Skeptiker der Pflegekammer ob der Zwangsmitgliedschaft, doch „überall, wo an zentraler Stelle über Pflege entschieden wird, sitzt Pflege nicht mit am Tisch.“ Eine Änderung, so Laumann, sei nur institutionell möglich und verwies auf die Kammern, in denen „seit Jahrhunderten in Deutschland und Österreich die Selbstverwaltung der Berufe“ organisiert sei.

Wenn die Pflege an einer systematischen, mittelfristigen Lösung interessiert sei, dann müsse auch der Pflegeberuf von einer eigenen Profession weiterentwickelt werden, wie man das von anderen Berufen über das Berufsbildungsgesetz auch kenne, ist sich der Staatssekretär sicher. Hier liege nun der Spielball bei den Ländern, die entscheiden müssen, ob sie eine Kammer wollen oder nicht, sprachs und verwies auf die zu studierenden Wahlprogramme der Parteien zu den anstehenden Landtags- und Bundestagswahlen. Laumann hatte Fahrt aufgenommen.

Grenzen eines sinnvollen Kompromisses

Überzeugt von einem gelungenen Gesetzesentwurf der Pflegeberufereform aus den beiden zuständigen Ministerien – für Gesundheit (zuständig für Krankenpflege) und Familie, Senioren, Frauen und Jugend (zuständig für Altenpflege) – unter Berücksichtigung der vorgebrachten Interessen von Verbänden, Vereinen und Institutionen, gebe es für Laumann jedoch eine Grenze eines akzeptablen Kompromisses. „Für mich liegt die Grenze in folgender Frage: „Das macht alles nur Sinn, wenn wir in der Regel die Ausbildung so gestalten, dass wir eine einheitliche Berufsbezeichnung verantworten können.“ Zwar brachte er ein gewisses Verständnis für die differierenden Meinungen der Fraktionen des Bundestages auf, da gerade die Pflegeschulen bundesweit sehr unterschiedliche Signale senden würden. Doch die Tatsache, dass in drei Bundesländern noch Schulgeld für die Ausbildung bezahlt werden müsse und in den meisten Bundesländern die Altenpflegeschulen erheblich weniger Geld pro SchülerIn zur Verfügung haben als Krankenpflegeschulen, lässt Laumanns Ansicht nach keinen Raum für Alternativen.

Seine Erfahrung im Berufsbildungsausschuss in NRW als Arbeitsminister habe ihn gelehrt, das zu sehr spezialisierte Berufe nicht förderlich seien. Eine breite Grundausbildung erhöhe die beruflichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt und andere Berufe machten es vor: „Die richtigen Erfahrungen sammelt man erst nach der Lehre und spezialisiert sich selbstverständlich in dem Bereich, in dem man dann arbeitet.“

Das Pflegeberufegesetz habe man nicht an Interessen ausgerichtet, sondern an der Frage, was man in der heutigen Zeit tun müsse, dass die Ausbildung eines jungen Menschen in der Pflegesich so gestaltet, dass er mit der Grundausbildung möglichst gute, für sich zu nutzende berufliche Chancen in der Profession habe. „Das verstehe ich im übrigen als einen wichtigen Auftrag der Sozialen Marktwirtschaft. Dazu gehört doch nicht der dienende, sondern der mündige Arbeitnehmer, der seine beruflichen Qualifikationen selbstverständlich auch auf diesem Markt zur Geltung bringen darf.“

Eklatante Missstände sieht Laumann auch in der Vergütung der stationären Altenpflege. Oft gebe es aus Wettbewerbsgründen keine Tarifverträge, was er am Negativbeispiel Niedersachsen veranschaulichte. Das habe ihn veranlasst, im Pflegestärkungsgesetz zu verankern, dass die Kostenträger höhere Löhne für die Mitarbeitern refinanzieren müssen. Insgesamt brauche das System mehr Transparenz. Die DRGs beinhalteten eigentlich „genug Pflege“, aber das sei nicht nachvollziehbar. Ebenfalls harsch kritisiert wurde von Laumann die duale Krankenhausfinanzierung, die Räume öffne, um „Umverteilungen“ vorzunehmen – oft zu Lasten der Pflege. Die kritiklose Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrages zeige jedoch den hohen Stellenwert der Pflege in der Gesellschaft.

Die Profession dürfe Missstände nicht verschweigen, müsse aber auch die guten, erfüllenden Seiten nach außen tragen, was die Pflege gesellschaftlich und politisch stärke. <<

Ausgabe 02 / 2017