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„Gute Arbeitsbedingungen schaffen“

21.01.2017 16:20
Der Berliner Senat bietet der Pflege eine größere Bühne. Sie wird erstmals in der Bezeichnung einer Senatsverwaltung benannt und in einer eigenständigen Abteilung Pflege bearbeitet. Für diese Abteilung ist die Senatorin Dilek Kolat (SPD) seit dem 8. Dezember 2016 zuständig. Im Kontext der kulturellen Vielfalt Berlins Pflege zu gestalten, ist eine Herausforderung, der Kolat sich im Sinne aller an der Pflege Beteiligten stellen will. Dabei soll eine hohe Qualität für die Pflegebedürftigen auf Landesebene weiter sichergestellt und eine Fachkräftesicherung mit dem Ziel, die Ausbildungszahlen mit gezielten Maßnahmen zu erhöhen, erreicht werden. Was Kolat alles im Blick hat, stellte sie als Referenin auch auf dem Deutschen Pflegetag 2017 in Berlin vor.
>> Frau Kolat, was qualifiziert die Pflege, in der Senatsverwaltung Berlin erstmals durch eine eigene Abteilung vertreten zu sein?
Pflege geht uns alle an und kann einen schneller betreffen als man denkt. Dieses Thema gehört also in die Mitte der Gesellschaft. Etwa  17 Prozent der Menschen in unserer Stadt haben Kinder – aber alle haben Eltern, und die Wahrscheinlichkeit, dass diese einmal pflegebedürftig werden, ist hoch. Erstmalig trägt in Berlin eine Senatsverwaltung das Wort Pflege im Namen. Es geht aber nicht nur um den Namen, sondern wir bauen derzeit eine neue Abteilung Pflege auf, wo wir alle diesbezüglichen Themen zusammenfassen. So können wir die wichtigen Themen der Zukunft viel besser angehen.

Der Senat will an dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ festhalten. Was sind da genau Ihre Pläne?
Ich will die Sicht der Betroffenen einnehmen, also derjenigen, die Pflege brauchen, deren Angehörigen und derjenigen, die in der Pflege arbeiten. Bei den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen beobachten wir häufig, dass sie Leistungen, auf die sie Anspruch hätten, nicht wahrnehmen. Die am 1. Januar in Kraft getretene Pflegereform bringt mehr Leistungen und einen umfassenderen Begriff von Pflegebedürftigkeit. Die meisten Menschen wollen so lange wie möglich zu Hause gepflegt werden. Ich möchte die besseren Leistungen zu den Menschen bringen. Dies kann insbesondere durch eine gute Beratung gelingen. Daher möchte ich die Pflegestützpunkte, die kostenlos und neutral beraten, weiter stärken. Knapp 43.000 Ratsuchende lassen sich dort jedes Jahr unabhängig und anbieterneutral informieren.
Weiter ist es mir wichtig, die pflegenden Angehörigen zu unterstützen. Diese sind der größte Pflegedienst Berlins und ihnen gehört mein großer Respekt. Mit der Woche für pflegende Angehörige, die ich am 12. Mai 2017 eröffnen durfte, konnten wir ihre Leistung wenigstens für einige Tage öffentlich machen und anerkennen. Wichtig ist mir auch die Qualität im ambulanten Bereich. Es gibt ein stetig wachsendes Angebot von Pflege-Wohngemeinschaften, wo die Qualität noch nicht in demselben Maße wie im stationären Bereich gesichert werden kann. Hier will ich mit allen Akteuren ins Gespräch  kommen und verbindliche Qualitätsstandards vereinbaren.

Sie bezeichnen die Fachkräftesicherung als die größte Herausforderung für die Pflege. Schon heute ist der Altenpflegeberuf in Berlin als Mangelberuf klassifiziert. Wie wollen Sie das Problem des Fachkräftemangels in der Pflege angehen?
Ich höre sehr oft, wie schwer es sei, Jugendliche für die Pflegeberufe zu gewinnen. Ich habe aber viele junge Menschen kennengelernt, die sehr sozial eingestellt sind und auch gerne in diesem Bereich arbeiten wollen. Wenn sie dann jedoch feststellen, dass die Arbeitsbedingungen nicht gut sind und auch die Bezahlung nicht stimmt, suchen sie sich schnell wieder etwas anderes. Deshalb muss die Ausbildung attraktiver werden, dann kommen auch die Jugendlichen, die nach der Schule lieber eine Berufsausbildung machen möchten.
Die nächste Herausforderung ist dann, die Verweildauer im Beruf zu erhöhen. Derzeit liegt die bei durchschnittlich acht Jahren. Das verschärft die Fachkräfteproblematik natürlich zusätzlich. Dafür muss jeder Arbeitgeber gute Arbeitsbedingungen schaffen und den Jugendlichen auch Aufstiegsperspektiven bieten. Aus meinem Amt als Arbeits- und Integrationssenatorin weiß ich auch, dass wir zusätzlich ein großes Potenzial für die Fachkräfteentwicklung unter den Arbeitslosen und den Zugewanderten haben.

Stichwort Generalistik: Wie stehen Sie zu dem Beschluss der Koalitionsfraktionen zum Pflegeberufereformgesetz? Ein guter Kompromiss oder geht das in die falsche Richtung?
Ich habe immer darauf hingewiesen, dass wir das Pflegeberufereformgesetz dringend brauchen. Die Pflegeberufe müssen aufgewertet werden. Das neue Gesetz hebt die Dreiteilung der Pflegeberufe in Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege auf und fasst sie in einem  generalistischen Ansatz zusammen. Das ist gut. Eine Anforderung des neuen Gesetzes haben wir in Berlin bereits erfüllt: Die Abschaffung des Schulgeldes! Das Gesetz fordert darüber hinaus eine Ausbildungsumlage. Das ist überfällig und wir freuen uns schon sehr auf die Umsetzung!

In drei Bundesländern ist die Landespflegekammer bereits Realität oder auf dem besten Wege, in diese umgesetzt zu werden. Ist eine solche Institution sinnvoll oder gibt es Ihrer Meinung nach effektivere Wege, die professionelle Pflege zu stärken? Wie sieht das in Berlin aus?
Grundsätzlich ist es ein berechtigtes Anliegen der Beschäftigten in der Pflege, wenn sie mehr Würdigung und auch eine institutionelle Vertretung fordern. Ob aber eine Kammer nach althergebrachtem Muster mit Zwangsmitgliedschaft eine zeitgemäße Lösung ist, kann man durchaus bezweifeln. Es gibt auch sehr gute Argumente für einen mit Mitwirkungsrechten ausgestatteten Pflegeverband mit freiwilliger Mitgliedschaft. Wirkungsvoll, freiwillig und für alle.

Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) im Februar ergab, dass in der für den Wahlausgang besonders maßgeblichen Altersgruppe 50+ 53 Prozent die Versorgung älterer, hilfebedürftiger Menschen als sehr wichtiges Thema ansehen. Im Hinblick auf die Bundestagswahl: Wo kommt die Pflege im Wahlprogramm der SPD vor? Hat sie den notwendigen Stellenwert?
Im Entwurf des Wahlprogramms der SPD, der seit dem 15. Mai vorliegt, hat die Pflege einen hohen Stellenwert. Es geht unter anderem darum, jene, die Angehörige pflegen, zeitlich und auch finanziell zu unterstützen. Deshalb wollen wir beispielsweise eine Familienarbeitszeit für Pflege, bei der pflegende Angehörige Lohnersatzleistungen bekommen, wenn sie ihre Arbeitszeit ganz oder teilweise reduzieren müssen. Wer das über einen längeren Zeitraum machen muss, erhält ein Familiengeld für Pflege, das je nachdem bis zu 24 Monaten gezahlt wird.
Ich freue mich sehr, dass das erfolgreiche Modell der Pflegestützpunkte ebenfalls ein Teil des Wahlprogramms ist. Es ist wichtig, dass sich pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen Beratung und Unterstützung sichern können. Dafür sind die Pflegestützpunkte da. Das Wahlprogramm ist zurzeit noch in der parteiinternen Diskussion. Sie können aber sicher sein, dass ich in der Debatte eine energische Streiterin für Verbesserungen im Bereich Pflege bin.

Frau Kolat, vielen Dank für das Gespräch. <<

Das Interview führte MoPf-Redakteurin Kerstin Müller.

Ausgabe 02 / 2017