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Keine Helfersackgasse

29.03.2018 16:28
Mit dem Ziel, relevante Akteure zu unterstützen, geflüchtete Menschen für Pflege-und Gesundheitsfachberufe zu gewinnen und zu qualifizieren, hat die Koordinierungsstelle „welcome@healthcare“ im November 2016 in Wuppertal ihre Arbeit aufgenommen. Getragen wird das Projekt von der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Nordrhein-Westfalen, der AWO, der Caritas, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem Deutschen Roten Kreuz, der Diakonie sowie den Jüdischen Gemeinden. Darüber hinaus fördert das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW das Programm. Beim ersten Fachforum der Koordinierungsstelle Mitte Januar in Düsseldorf ging es den Projektverantwortlichen darum, Herausforderungen und mögliche Lösungswege aufzuzeigen, damit eine Integration der Geflüchteten in Pflege- und Gesundheitsfachberufe zunehmend besser gelingen kann.

>> „Das Projekt ist nicht die Lösung für unser grundsätzliches demografisches Problem, das leuchtet wohl schnell ein“, stellte Pfarrer Christian Heine-Göttelmann, Vorsitzender der Freien Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW, eingangs der Veranstaltung fest. Denn die bis im Jahr 2030 angenommene Zahl von 40.000 fehlenden Pflegekräften in NRW ließe sich nicht aus immigrierten Menschen jedweder Art rekrutieren oder ausbilden.

„Aber es ist ein Leuchtturmprojekt, weil wir daraus Erkenntnisse ziehen, wie Menschen – qualifizierte und nicht qualifizierte – in Deutschland gut in den Arbeitsmarkt integriert oder für diesen gewonnen werden können. Außerdem lassen sich Barrieren und Hürden auf diesem Weg identifizieren“, sagte Heine-Göttelmann und rannte damit offene Türen bei Staatssekretär Dr. Edmund Heller, Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen ein. Denn auch für Heller steht die Integration der geflüchteten Menschen im Vordergrund.

Langer Atem notwendig

Syrien, Afghanistan, Eritrea, Iran, Irak – aus diesen Ländern zählte die Landesregierung NRW in den Jahren 2015 und 2016 die meisten Geflüchteten. 2016 wurden, so der Staatssekretär, rund 196.000 Erstanträge auf Asyl gestellt. „Eine zentrale Aufgabe, die wir nur gemeinsam leisten können, ist die der erfolgreichen Integration“, erklärte Heller und forderte einerseits Integrationsbereitschaft von den Geflüchteten, aber auch den expliziten Anspruch der deutschen Gesellschaft an diese Menschen, Aufgaben im Gemeinschaftsgefüge zu übernehmen. Für ihn ein ebenso menschlicher Akt; denn geflüchtete Menschen müssten die Möglichkeit bekommen, sich einen anerkannten und respektablen Platz in dieser Gesellschaft zu erarbeiten. Der Begriff „welcome@healthcare“ bringe das in genau drei Worten zum Ausdruck.

Heller unterstrich mit dem Hinweis auf das Engagement der Landesregierung bei diesem Projekt die anvisierte Chance für den Gesundheitssektor, neues Personal für Gesundheits- und Pflegefachberufe zu finden, deren Ausbildung ohne Zweifel einen langen Atem erfordere. Angefangen bei der Frage nach der Qualifikation der Geflüchteten, einem Abbau der Sprachbarrieren oder Arbeitsförderungsmaßnahmen seien viele Probleme zu analysieren und nach Möglichkeit Antworten zu finden.

Die aktuelle Datengrundlage, die Sebastian Riebandt, Fachreferent in der Koordinierungsstelle „welcome@healthcare“, in seinem Vortrag präsentierte, zeigte das stark polarisierte Bildungsniveau der Geflüchteten: 40 % haben eine weiterführende Schule besucht (35 % mit Abschluss), 11 % haben eine Grundschule und 11 % haben keine Schule besucht. 73 % der Personen zwischen 18 und 65 Jahren haben in ihren Heimatländern Berufserfahrungen gesammelt und 90 % haben keine Deutschkenntnisse, beabsichtigen jedoch in gleicher Prozenthöhe in Deutschland zu bleiben.

Best Practice

Der Staatssekretär versicherte, dass man im Ministerium gerade dabei sei, das Berufsanerkennungsverfahren zu verbessern, und dass man sicherstellen wolle, dass es genügend Angebote zur Nach- oder Weiterqualifizierung gebe. „Wir wollen nicht, dass die Integration geflüchteter Menschen in einer Helfersackgasse endet“, konstatierte Heller und fügte hinzu, dass auch komplizierte Verfahren möglichst nicht langwierige Verfahren sein sollten. Dafür setze sich auch Franz Josef Laumann als Gesundheitsminister des Landes NRW in Gesprächen mit den betreffenden Einrichtungen ein, indem er sich für entbürokratisierte Anerkennungsverfahren stark mache.

Als praktisches Beispiel präsentierte der Minister das vom Land ebenfalls unterstützte Modellprojekt „Care for Integration“ zur Ausbildung geflüchteter Menschen in der Altenpflege. Projektleiterin Sina Yumi Wagner stellte das Projekt der Akademie für Pflegeberufe und Managament, das auch von der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit sowie dem Europäischen Sozialfonds gefördert wird, in einem Workshop vor. Aufgeteilt in zwei Module und ein sich anschließendes optionales drittes Modul, beinhaltet Modul 1 einen integrations- bzw. berufsspezifischen Sprachkurs auf B1-Niveau, der täglich vier Stunden Deutschunterricht am Vormittag sowie Pflege- oder Hauptschulunterricht am Nachmittag umfasst.

Wagner hob an dieser Stelle noch einmal die Schwierigkeit des Qualifikationsnachweises hervor, da viele Geflüchtete nur ein Foto ihres Zeugnisses auf dem Smartphone nachweisen könnten. Der entsprechende Nachweis eines formalen Abschlusses kann innerhalb des Projektes im Rahmen von 500 Stunden Hauptschul-Unterricht, davon 400 in Modul 1 und 100 in Modul 2, erbracht werden. Das 12-monatige Modul 1 umfasst zudem rund 250 Stunden Pflegeunterricht sowie zwei bis drei Praktika, während das anschließende 18-monatige Modul 2 die Altenpflegehilfeausbildung umfasst. Optional schließt sich hier die Ausbildung zur Pfegefachkraft an, worauf die Projektinitiatoren nach eigenen Angaben hinarbeiten. Evaluiert wird das Projekt von Professor Dr. Michael Isfort vom Deutschen Institut für Pflegeforschung (DIP).

Auch Pflegepädagogen sind rar

In weiteren Workshops konnten sich die Teilnehmer beispielsweise über eine mögliche Ansprache und Gewinnung von geflüchteten Menschen für die Pflege informieren, die in vielen Ländern im familiären Setting stattfindet und daher als Berufsfeld gar nicht präsent ist. Dirk Herrmann, Referent für Freiwilligendienste der Diakonie in Süd-Westfalen, erklärte, dass die Diakonie geflüchtete Menschen über das Freiwillige Soziale Jahr für die Pflegeberufe gewinnt und vorbereitet. Über diesen Weg konnten im Jahr 2017 fünf Auszubildende für die Ausbildung in der Altenpflege gewonnen werden. Darüber hinaus wurden rechtliche und lebensweltliche Rahmenbedingungen für den Beginn einer Pflegefachausbildung diskutiert und Grundlagen des Asylrechts von Heidemarie Jeep vom Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe e. V. aufgezeigt.

In der von Sturmtief „Friederike“ personell dezimierten abschließenden Podiumsdiskussion wurde deutlich, dass Vorbilder für die geflüchteten Menschen eine große Rolle spielen können. Edith Kühnle, Geschäftsführerin des Bonner Vereins für Pflege- und Gesundheitsberufe e. V., hob dies beispielhaft durch Mentorinnen innerhalb des ESF-geförderten Projektes „Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein“ hervor, in denen sich Frauen auf eine Ausbildung in der Altenpflege vorbereiten – Kinderbetreuung inklusive.

Dr. Martina Erken, Projektleiterin am mibeg-Institut Medizin, das sich auf die nachuniversitäre Weiterbildung von Fachkräften im Gesundheitswesen spezialisiert hat, blickte positiv auf die Beratung im Rahmen des Programmes „IQuaMed“. Dieses wird im Rahmen des Förderprogramms „Integration durch Qualifizierung“ (IQ) durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds gefördert und arbeitet seit 2005 an der Zielsetzung, die Arbeitsmarktchancen für Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern.

In der Förderperiode 2015–2018 wird das Programm um den Schwerpunkt „ESF-Qualifizierung im Kontext des Anerkennungsgesetzes“ erweitert. Von zentralem Interesse ist, dass im Ausland erworbene Berufsabschlüsse – unabhängig vom Aufenthaltstitel – häufiger in einer bildungsadäquaten Beschäftigung münden. Erken betonte, „dass in Nordrhein-Westfalen allein mit dem öffentlich geförderten Programm ,IQuaMed‘ in drei Jahren über 1.800 Gesundheitsfachkräfte, die aus dem Ausland kamen, beraten werden konnten und davon bereits 600 Gesundheitsfachkräfte ihre Berufsqualifizierung erlangt haben“. Knapp 13 % gehörten davon zu der Gruppe der Geflüchteten. Dass das Berufsfeld der Pflege derzeit ein „boomendes“ Feld ist, bestätigte Claudia Steinhardt, Regionaldirektorin der Arbeitsagentur NRW, die auf die „Intergration Points“ in den Arbeitsagenturen hinwies, die zielgruppenspezifische Beratung für Geflüchtete anbieten.

Qualitätsgrenzen beachten

„Das Berufsfeld der Pflege ist eines der zukunftssichersten“, stellte Steinhardt fest, doch fehlten neben Pflegekräften eben auch Lehrkräfte, wie Gerhard Herrmann, Abteilungsleiter im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, aufzeigte. Weder stünden für die Fachseminare genügend Pädagogen bereit, noch gebe es eine ausreichende Zahl an Studiengängen in Pflegepädagogik, wo die Lehrkräfte ausgebildet werden könnten. Auch das Pflegeberufereformgesetz bringe noch einmal grundlegende Änderungen mit sich, die bewältigt werden müssten, so Herrmann. „Wir befinden uns in Gesprächen mit Hochschulen, damit Studiengänge für Pflegepädagogik eingerichtet werden. Wir müssen aber auch den Quersteinstieg für Lehrkräfte erleichtern.“

Allerdings mahnte Steinhardt hier zur Obacht, da man sich an der „Schnittstelle zwischen schnell und unbürokratisch“ befinde und sinnvolle Qualitätsgrenzen nicht unterschritten werden dürften. Grundsätzlich konnte Herrmann Rückenwind aus dem Ministerium für die Pflege vermitteln, nahm aber eine lange Wunschliste der Akteure mit ins Ministerium, was den erhofften Austausch auf der Veranstaltung bestätigen konnte. <<

Foto: „welcome@healthcare“/ Kathrin Heumann

Ausgabe 01 / 2018