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Transformation braucht Tempo

12.03.2024 18:20
Veränderungen im Gesundheitssystem und nicht weniger die ökologischen oder geopolitischen beeinflussen auch den Einkauf und die Logistik im Klinikbereich. Adelheid Jakobs-Schäfer ist Generalbevollmächtigte der Sana Kliniken für diesen Bereich und erklärt, wie wichtig es ist, den sich verändernden Rahmenbedingungen temporeich zu begegnen. Eine wertebasierte Beschaffung ist für sie obligatorisch und auch die sich durch die Krankenhausreform abzeichnende Bedeutung performanter Lieferketten stellt Jakobs-Schäfer in den Vordergrund. Ihr Verständnis für die ethisch und fachlich spezielle Tätigkeit von Pflege und Ärzten speist sich aus ihrer Ausbildung zur Krankenschwester und der folgenden Praxis. Eine prägende Zeit, in der sie gelernt hat, wie wichtig Unterstützung, ein offener Austausch und gegenseitiger Respekt sind, um ein positives Arbeitsumfeld zu schaffen.

Frau Jakobs-Schäfer, Sie sind ausgebildete Krankenschwester und heute Einkaufsmanagerin der Sana Kliniken. Das klingt nach einem sehr interessanten Weg. Was war die Motivation hinter dieser Entwicklung?
Verantwortung übernehmen, im Team arbeiten, nach Lösungen und Verbesserungen suchen – das ist sicherlich ein großer Teil meiner Motivation, meines inneren Antriebs. Einkaufsmanagerin war dabei nicht der Anfang, sondern ist das Ergebnis meiner Entwicklung im Gesundheitswesen. Auf diesem Weg haben mich besondere Führungspersönlichkeiten geprägt. Wenn ich heute darüber nachdenke, dann gaben sie nicht nur Feedback zu meinen Stärken. Sie haben mir auch – oftmals deutlicher und geradliniger als heute – Rückmeldung zu meinen Schwächen und Fehlern gegeben. Meine Eltern, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, vermittelten mir eine starke Leistungs- und Werteorientierung. Mein erster Arbeitgeber, die Barmherzigen Brüder in Trier, hat mich ganz besonders gefördert. So konnte ich zur Pflegequalifikation berufsbegleitend Betriebswirtschaft in Saarbrücken studieren.

Würden Sie diesen Weg wieder gehen?

Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, es ist wichtig, nicht auf einer Position zu verharren, sondern sich umzusehen: Wo kann ich das, was mir an dieser Arbeit wichtig ist, weiterverfolgen, an welcher Stelle kann ich meine Fähigkeiten noch besser einsetzen?

An welcher Stelle profitieren Sie in Ihrer aktuellen Position von Ihrer Pflege-Ausbildung besonders?
Ich profitiere noch heute von meiner Pflegeausbildung. Ein Ausbildungsplatz bei den Barmherzigen Brüdern, das war damals wie ein Sechser im Lotto für mich. Die Schule war sehr medizinisch ausgerichtet. Der wirkliche Pflegeanteil war geringer repräsentiert als heute. Medizinthemen lehrten meist die Chefärzte. Die kannten ihre Schülerinnen und Schüler gut und fragten auf Station und bei der Visite am Bett bevorzugt klinisches Wissen ab.

Seit meiner Ausbildung und der folgenden Praxis kenne ich den grundsätzlichen Bedarf, den Pflege und Ärzte haben. Ich konnte ein Verständnis für ihre ethisch und fachlich spezielle Tätigkeit entwickeln und erwarb den nötigen Respekt, wenn es um kritische Lebenssituationen von Schwerstkranken und den Weg des Sterbens geht.

Spreche ich heute mit Mitarbeitenden in der Klinik, möchte ich zunächst wissen, wer sie sind und wo sie stehen, warum sie etwas tun. Und auch, warum sie etwas ablehnen. Das ist auch mein Appell an Mitarbeitende aus dem Einkauf: Geht auf das medizinisch-pflegerische Personal zu. Lernt miteinander zu sprechen!

Blicken wir auf Ihr aktuelles Wirkungsfeld: Welche Aspekte dominieren Ihren Arbeitsalltag derzeit?
Als Leitung eines Unternehmens für Klinikeinkauf und -logistik sind es Fragen, die sich mit der Veränderung im Gesundheitswesen und den aktuellen Anforderungen auseinandersetzen. Dafür braucht es den kontinuierlichen Blick auf die Rahmenbedingungen der Finanzierung von Krankenhausleistungen und Produkten, auf Lieferketten und natürlich auf  Veränderungen in der Medizin und Pflege.

Als Generalbevollmächtigte stehe ich im Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Konzern. Wichtig ist auch, nahe an den Kliniken zu sein, zu hören, was ihre Wahrnehmung, Bedarfe und Wünsche der Kollegen an den Standorten sind.

Wichtig ist, unseren Mitarbeitenden Orientierung zu geben und sie in einem fortlaufenden Veränderungsprozess mitzunehmen. Es erfordert viel Einsatz, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die es allen Beschäftigten ermöglichen, ihre Stärken bestmöglich einzubringen.

Steigende Energie- und Nebenkosten, mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz: Was bedeuten die veränderten Rahmenbedingungen und Anforderungen für einen effizienten Einkauf?

In der Frage steckt schon die Antwort: Einkauf ist mehr als nur das Verhandeln von Preisen. Medizinische Evidenz wird im Klinikeinkauf und für Produktentscheidungen zum Wohle des Patienten eine immer größere Rolle spielen. Vor allem im Hinblick auf eine nachhaltige medizinische und pflegerische Entwicklung.

Für mich ist Value-based Procurement, also die werteorientierte Beschaffung, der gelebte Prozess für medizinisch relevante Produktentscheidungen. Qualität, Innovationen, Versorgungssicherheit, mehr Nachhaltigkeit und vor allem die gesamtheitliche Kostenbetrachtung sind heute wichtiger denn je. Mit dem angemessenen Abwägen dieser Werte trägt der Einkauf zur nachhaltigen Patientenversorgung und medizinischen Entwicklung bei.

Angesichts dieser Herausforderungen hat Sana Einkauf & Logistik gemeinsam mit der Einkaufskooperation EK-UNICO das Review Center gegründet. Seine Aufgabe: Klinikeinkäuferinnen und -einkäufern evidenzbasierte Nutzenbewertungen zur Verfügung zu stellen, die auf eine wertebasierte Beschaffung einzahlen. Außerdem ermöglichen die Handlungsfelder des Review Centers einen raschen Wissens- und Kompetenzaufbau, der den Klinikeinkauf methodisch und fachlich stärkt.

Braucht es vor dem Hintergrund ganzheitlicher medizinischer Versorgungsstrukturen auch neue Ansätze in der Beschaffung?
Aber ja, gerade hier müssen Change und Veränderung ansetzen. Der Einkauf verändert sich rasant. Doch wie sehen künftige Trends aus? Und wann treten sie ein? Das Review Center hat 2023 in Kooperation mit der Universität der Bundeswehr München eine Studie zur Zukunft des Klinikeinkaufs durchgeführt. Dabei ist vor allem eines deutlich geworden: Die Transformation braucht Tempo – sonst verpassen die Kliniken die Chance, wichtige Voraussetzungen für die Zukunftsfähigkeit des Einkaufs zu schaffen.

Wir erleben in Deutschland wieder eine Medikamentenknappheit. Steht auch der Klinikeinkauf vor Herausforderungen und benötigt
diversifizierte Lieferketten, um eine gewisse Unabhängigkeit und damit Sicherheit zu erreichen?

Das Thema Liefersicherheit ist ein wachsendes Risiko, Hersteller und Betreiber von Logistikketten stehen unter dem Druck akuter geopolitischer Ereignisse. Das betrifft Arzneimittel wie auch Medizinprodukte, weil sie überwiegend nicht in Europa hergestellt werden können. Ursache dafür sind Preiskämpfe und regulatorische Anforderungen. Das Thema wird sich in den nächsten Jahren zuspitzen. Und dann werden wir vor allem in den Handelsabkommen und in der Zusammenarbeit mit den Produzenten ein völlig neues Verständnis von Liefersicherheit benötigen.

Gibt es eine prioritäre Behandlung von Kliniken, etwa bei der
Belieferung mit Medikamenten durch Großhändler oder bei der Belieferung mit Medizinprodukten durch die Hersteller?

In Engpasssituationen rückt man operativ und strategisch näher zusammen. Das Bemühen in der Zusammenarbeit zielt vor allem auf die Patientenversorgung ab. Wir dürfen aber auch nicht übersehen, dass Firmen immer auch knappe Güter nach Marge allokieren. Die Zusammenarbeit und vor allem das Verhandeln müssen entsprechend auch nicht allein einer Preisdiskussion, sondern vielmehr strategischen Prämissen unterworfen sein.

Sprechen wir noch über die viel- und kontrovers diskutierte Krankenhausreform. Gibt es Aspekte bei der geplanten Reform, die für die Beschaffung & Logistik relevant sind?
Ja. Es wird zukünftig andere medizinische Versorgungsstrukturen geben. Der Einkauf und die Logistik folgen diesen veränderten Strukturen. Ein Teil des Volumens verschiebt sich in den nächsten zehn Jahren vom stationären in den ambulanten Bereich. Damit verbunden wird es unterschiedliche Preisstellungen geben.

Was ändert sich konkret für die Kliniken?
Der reine Beschaffungsprozess wird hinsichtlich der Qualitätsanforderungen anspruchsvoller. Da sind Dienstleister gefragt, wie die Sana Einkauf & Logistik, die mit regionalen Logistikzentren die Versorgung in einer performanten Lieferkette bis zu den Anwender-
innen und Anwendern auf der Station abbilden können. Außerdem müssen wir die begrenzten Personalressourcen der Pflege schonen. Pflegekräfte müssen weitgehend von hauswirtschaftlichen Tätigkeiten und dem Verräumen, Auffüllen und Bestellen von Produkten entlastet werden. Zur Steuerung des Produkteinsatzes und der damit verbundenen Wirtschaftlichkeit des Klinikeinkaufs braucht es präzise Analyse-Instrumente, auch mit Benchmarks für Sachkosten.

Schauen wir uns abschließend die Versorgungssicherheit auf anderer Ebene an: Vor dem Hintergrund Ihrer eigenen beruflichen Erfahrung: Wie bekommt man genügend Pflegekräfte in die Krankenhäuser – und hält sie auch dort?
Wie wir neue Pflegekräfte für diesen Beruf gewinnen können, das ist natürlich in erster Linie ein Thema für das Pflegemanagement und das Personalrecruiting. Aus meiner heutigen Position versuche ich, die Pflege in den Kliniken ganz praktisch durch eine zuverlässige Dienstleistung zu entlasten und sie so bei ihrer wichtigen Arbeit zu unterstützen.

Ein entscheidender Faktor ist aus meiner persönlichen Sicht die Unternehmenskultur: das Schaffen von Arbeitsbedingungen im Miteinander, vernünftige Arbeitszeiten und vor allem eine Kultur der Akzeptanz und des Respekts der unterschiedlichen Berufsgruppen. Stimmt das Arbeitsumfeld nicht, dann macht auch die sinnstiftende Arbeit, mit der wir viele Stunden unseres Lebens verbringen, keine Freude.  


Vielen Dank für das Gespräch, Frau Jakobs-Schäfer.