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„Wir brauchen einen Perspektivwechsel“

29.03.2018 15:35
Das Missverhältnis zwischen dem Bedarf und den Anforderungen an die Pflege wird immmer deutlicher. Beim Pressegespräch auf dem Deutschen Pflegetag konnte diese These durch die Ergebnisse der vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung regelmäßig durchgeführten Studie „Pflege-Thermometer 2018“ unterstrichen werden, wie Studienleiter Professor Dr. Michael Isfort darlegte. Martin Litsch, der als AOK-Bundesvorsitzender die Krankenkasse als Gründungspartner auf der Veranstaltung vertrat, wies darauf hin, dass teamorientierte, kooperative Arbeitsstrukturen für größere Zufriedenheit und Selbstbewusstsein bei den Mitarbeitern sorgen könnten, was Franz Wagner als Präsident des Deutschen Pflegerates nur bekräftigen konnte.

>> 1.067 Rückläufer verzeichnete Professor Dr. Michael Isfort bei den an 13.600 Pflegeeinrichtungen versendeten Fragebögen des „Pflege-Thermometers 2018“. Es war an dem Pflegewissenschaftler der Katholischen Hochschule NRW die Pressekonferenz des Deutschen Pflegetages zu eröffnen und mit der Vorstellung der aktuellen Studienergebnisse eine Basis zu legen.

Die Zahlen sprechen dann auch eine deutliche Sprache: So scheinen die Kapazitätsgrenzen der teil- bzw. vollstationären Einrichtungen erreicht, da 71 Prozent der Einrichtungen angaben, Wartelisten für vollstationäre Langzeitpflegeplätze zu führen. Bei der Kurzzeitpflege gaben 84 Prozent an, in den vorangehenden drei Monaten Ablehnungen ausgesprochen zu haben. Als „Nadelöhr der Entwicklung“ bezeichnete Isfort den durch die Studie bestätigten Fachkräftemangel, der sich sowohl quantitativ wie auch qualitativ äußert. Es müsse von aktuell 17.000 offenen und direkt zu besetzenden Stellen in den Pflegeberufen ausgegangen werden.

Diese Zahl rief Franz Wagner als Präsidenten des Deutschen Pflegerates auf den Plan, dem es ein dringendes Anliegen war, in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass „die nächsten Jahre darüber entscheiden werden, ob wir die Krise in der Pflege bewältigen und den pflegerischen Herausforderungen der Zukunft begegnen können“. Wagner erkannte durchaus das positive Wirken der Politik in der letzten Legislaturperiode in Sachen Reformen an, doch „die Lage der beruflich Pflegenden wurde dabei stark vernachlässigt“.

Ein Tropfen auf den heißen Stein

Die im Koalitionsvertrag festgelegten 8.000 neuen Fachkraftstellen im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlungspflege in den Pflegeheimen, finanziert durch Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung, seien nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Für das Krankenhaus sieht Wagner vor allem in der Ausgliederung des Pflegepersonalbudgets aus der DRG-Finanzierung Licht am Ende des Tunnels, denn „das würde verhindern, dass das Budget für Fachkräfte weiter als Verschiebebahnhof für andere Bereiche genutzt wird“.

Dem konnte sich Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes in dieser Form nicht anschließen. „Eigentlich ist heute schon eine ausreichende Gegenfinanzierung sowohl des Personalbedarfs als auch der Tarifsteigerungen für die Beschäftigten sichergestellt“, so Litsch, „Pflege wird also ordentlich in den DRGs berücksichtigt.“ Von der auszugliedernden Summe von rund 18 Milliarden Euro aus dem Vergütungssystem und der Erstattung nach dem Selbstkostenprinzip hält Litsch gar nichts, da damit keine bessere Personalausstattung erreicht werde. „Statt den strukturellen Umbau in der Krankenhauslandschaft voranzutreiben und damit über eine stärkere Zentralisierung und Spezialisierung die Lebens- und Arbeitsbedingungen für das Krankenhauspersonal zu verbessern, fällt die GroKo hier zurück in alte Muster“, kritisierte Litsch und plädierte durchaus für  mehr Transparenz der finanziellen Ströme.

Einig waren sich Wagner und Litsch allerdings bei der Forderung effizienterer Kranken-
hausstrukturen. Da kleine Kliniken relativ mehr Personal als größere Krankenhäuser benötigten, sollten Leistungen nach Qualitätsmerkmalen zentralisiert werden, meinte Litsch.

Neue Kooperationskultur

Dass die Pflegestärkungsgesetze Erfolge und somit Verbesserung für die Einrichtungen gerieren, davon sind die von Isfort im Rahmen des „Pflege-Thermometers 2018“ befragten Einrichtungsleitungen nicht überzeugt und man befürchtet sogar, „Verlierer der Reform zu werden“. Dagegen ist Litsch vom Erfolg der PSG I-III überzeugt, macht aber klar, dass die Umsetzung einem „Langstreckenlauf“ gleichkäme und erst allmählich wirke.
Mit Blick auf die Zukunft waren sich alle drei Vertreter sicher, dass es einer Attraktivitätssteigerung des Berufsbildes bedarf, welche nicht zuletzt durch eine Optimierung der Arbeits- und Organisa-
tionsprozesse herbeigeführt werden müsse. „Wir brauchen endlich den Perspektivwechsel, das heißt eine neue Kooperationskultur zwischen den Gesundheitsberufen“, forderte Litsch. „Dazu gehören mehr Teamorientierung und der Neuzuschnitt von Aufgaben.“ <<

Foto: Deutscher Pflegetag/Dirk Enters allefarben-foto

Ausgabe 01 / 2018