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„Grundlagen für Transparenz und Patientensicherheit erforderlich!“

08.08.2018 13:00
Dr. Ilona Köster-Steinebach, Geschäftsführerin des Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., nimmt Stellung zum Entwurf des Pflegepersonalstärkungsgesetzes

>> Nun ist er da, der mit Spannung erwartete Entwurf des Pflegepersonalstärkungsgesetzes. Er bringt (wahrscheinlich) tiefgreifende Änderungen in den Anreizstrukturen rund um den Einsatz von Pflegekräften im Krankenhaus. Das ist aus Sicht der Patientensicherheit sehr zu begrüßen. Bisher hatten ausgerechnet die Krankenhausleitungen, die letztlich das größte Potential zur (offenen wie verdeckten) Gestaltung des tatsächlichen Personaleinsatzes hatten, den größten Anreiz zu reduzieren. Das wird mit der neuen Gesetzeslage, so scheint es, umfassend geändert, verbessert. Bei aller Zustimmung verbleiben aber auch Sorgen: die Befürchtung, dass nun die Krankenhäuser das Personal aus der ebenfalls angespannten Altenpflege abziehen, um ein Beispiel zu nennen. Oder dass bei voller Refinanzierung der Pflege diese Aufgaben z.B. der Hauswirtschaft übernehmen muss, damit dort Einsparungen für Investitionen oder Gewinne möglich sind. Und schließlich, dass attraktive Häuser und Regionen Personal auf Kosten anderer Standorte aufbauen, also die Segnungen des Gesetzes nicht bei allen Patienten ankommen.

Insgesamt sind die Regelungen rund um die neue Finanzierung der Pflege durchaus komplex. Gerade aber wenn komplexe Regelungen auf ein nicht minder komplexes System treffen, ist mitnichten sichergestellt, dass sie auch das beabsichtigte Ergebnis zeitigen. Umso dringender wäre, dass endlich mehr Transparenz in diesem Bereich geschaffen wird: über den tatsächlichen Pflegebedarf und die tatsächliche Personalausstattung. Bedauerlicherweise fehlt genau dieser Aspekt (noch?) im Gesetzentwurf. Patientenorganisationen, Gewerkschaften, wissenschaftliche Fachgesellschaften, das Aktionsbündnis Patientensicherheit – alle fordern gleichermaßen die Entwicklung eines Personalbemessungsinstruments, das am individuellen Pflegebedarf ausgerichtet ist.

Ein solches Tool, das übrigens im Bereich des SGB XI schon längst entwickelt wird, hätte zahlreiche Vorteile. Die Verhandlungspartner der krankenhausindividuellen Pflegebudgets hätten Daten, anhand derer sie fundierte Entscheidungen treffen könnten. Die Politik könnte überprüfen, ob ihre Maßnahmen ankommen und wo noch Bedarf an Nachsteuerung besteht. Die Versorgungsforschung hätte endlich eine gesicherte Grundlage, auf der Aussagen über die Wirkungen ausreichender oder eben auch nicht ausreichender Personalausstattung getroffen werden könnten. Wichtig wäre dabei, dass die Forschung deutlich macht, dass gute Pflege nicht nur ein Kostenfaktor ist, sondern im Gegenteil viele vermeidbare Beeinträchtigungen und damit Folgekosten vermeidet. Überhaupt könnte damit erstmals wirklich fundiert quantifiziert werden, wo wie viel Pflegepersonal fehlt. Für das Pflegepersonal könnte sich der positive Effekt ergeben, dass definiert würde, was zu ihren Aufgaben zählt und was nicht. Nur wenn er niedergelegt ist, kann ein solcher Aufgabenkatalog genutzt, aber auch gezielt verändert werden. Nicht zuletzt gäbe es auch Vorteile für Patienten, weil nur auf der Basis ausreichender Daten über den Pflege(personal)bedarf auch im Interesse von Patientensicherheit gehandelt werden kann.

Wer länger im gesundheitspolitischen Geschäft ist, weiß, dass Finanzierungsregelungen kommen und gehen. Ob insbesondere die im aktuellen Gesetzentwurf enthaltene Vorgabe, dass jegliche Pflegepersonalbesetzung per se als wirtschaftlich im Sinne von § 12 SGB V gilt, die Zeiten überdauert, darf bezweifelt werden. Unter den Bedingungen von Pflegepersonalknappheit ist eine Überbesetzung an einer Stelle auch nicht vorteilhaft für die Patientensicherheit im größeren Zusammenhang, denn die Pflegekräfte fehlen dann anderswo. Wenn also – im jetzigen Gesetzgebungsverfahren oder in späteren – die Vorgaben wieder geändert werden, ist es wichtig, dass trotzdem eine fundierte und an der Patientensicherheit ausgerichtet Grundlage für öffentliche Transparenz, Forschung und regulative Eingriffe besteht. Deshalb sollte die jetzige Chance, dies gesetzgeberisch auf den Weg zu bringen, nicht versäumt werden. Denn eines ist klar: Wenn der Teufelskreis in der Pflege, bestehend aus Unattraktivität, Personalmangel und gefährlicher Pflege, nicht nachdrücklich und nachhaltig durchbrochen wird, wird es nicht auf Dauer gelingen, Menschen für dieses wichtige Berufsbild zu gewinnen.

Noch ein weiterer Punkt spricht für die Entwicklung und verpflichtende Anwendung eines bedarfsorientierten Personalbemessungstools: Der Pflegenotstand ist als Thema in der Öffentlichkeit angekommen. Wen wundert es, schließlich kann jede/r unvermittelt Patient oder Patientin im Krankenhaus werden. Und aus dem Verwandten- oder Freundeskreis ist bestimmt auch jemand auf gute Versorgung angewiesen. Also auch wenn die aktuelle Medienpräsenz des Themas abnimmt: seine gesellschaftliche Relevanz bleibt. In welchem Umfang und wie schnell die Politik die erkannten Probleme auch wirklich anpackt und Veränderungen bewirkt, sollte nicht nur Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit überlassen werden. Zumindest die Ergebnisse, ablesbar an Veränderungen des Verhältnisses von Pflegebedarf zu Personaleinsatz, sollten auch öffentlich nachvollziehbar sein. Es wäre auch zum Vorteil der (Gesundheits-)politik, an diesem Beispiel zu zeigen: Wir haben verstanden! Auch hinsichtlich gesellschaftlicher Transparenz. <<

Ausgabe 02 / 2018