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Option Caring Community!?

03.04.2018 09:45
Die in den 1980er Jahren entstandene Hospizbewegung in Deutschland hat mit der Einrichtung des ersten Hospizes 1986 in Aachen auch ihre Wurzeln in der Region, die alljährlich Gastgeber der Hospizgespräche ist. Anfang Februar fand die 107. Auflage der Veranstaltung in den Räumlichkeiten des Museums Zinkhütter Hof in Stolberg statt, die unter dem Motto „Vom Wegschauen zum Hinschauen – Caring Community – die sorgende Gemeinde. Vernachlässigte Gruppen, Einrichtungen und Regionen in der Hospiz- und Palliativkultur“ standen. Rund 400 Teilnehmer konnten sich an zwei Tagen in der vom Bildungswerk Aachen organisierten und von Grünenthal, Caritas sowie der Städteregion Aachen geförderten Veranstaltung über das im Jahr 2015 in Kraft getretene Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) und seine Ausgestaltung zukunftsgerichtet austauschen.

>> „Wie können vernachlässigte Gruppen im Zuge der Umsetzung des HPG besser erreicht werden und kann das Modell der Caring Community ein Modell sein, in dem Ehrenamt, Nachbarschaftshilfe, kommunale Strukturen und die professionellen Sorgenetzwerke gemeinsam, möglichst da, wo sie gebraucht werden, zusammenkommen?“, fragte Veronika Schönhofer-Nellessen, Leiterin der Servicestelle Hospiz für die Städteregion Aachen und hauptverantwortliche Veranstalterin der Aachener Hospizgespräche, eingangs der Veranstaltung. Strukturelle, kulturelle und auch gesetzliche Fragen galt es hier also zu beantworten.

„Ja, ich gehöre zu einer vernachlässigten Gruppe“, konstatierte Professor Dr. Roman Rolke, Direktor der Klinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Aachen und ärztlicher Leiter der Veranstaltung, mit einem Augenzwinkern auf die Frage von GrünenthalPressesprecher Dr. Stefan Frings. Denn bei bundesweit mehr als 30 Universitätsklinika gebe es nur neun Lehrstühle für Erwachsenen-Palliativmedizin. Der Forderung nach mehr Lehrstühlen ließ Rolke den Vorschlag zur Einführung eines Facharztes für Palliativmedizin folgen, damit junge, neugierige und forschungsaktive Mediziner auch in diesem Feld arbeiten und dieses voranbringen könnten. „Da hätten wir einen Qualitätssprung zu erwarten“, ist sich der Mediziner sicher.

Die Transition im Fokus

Besonderen Handlungsbedarf sieht Rolke bei der Transition junger Erwachsener in die Erwachsenen-Palliativmedizin, die nach Erreichen des 18. Lebensjahres mit ihrer seltenen Erkrankung den Arzt wechseln müssen, der häufig keine Expertise für die Behandlung seltener Stoffwechsel- oder Muskelerkrankungen habe. Durch die Möglichkeiten der modernen Medizin erreichten schwerkranke Jugendliche eben häufiger das Erwachsenenalter, was auch die Medizin und die Pflege vor neue Herausforderungen stelle.

„Wir haben in unserem Pilotprojekt die Erfahrung gemacht, wie wertvoll es ist, an diesem Übergang mit den Eltern innezuhalten und zu überlegen: Wo stehen wir? Und wie kann es weitergehen?“ Rolke forderte die Beschäftigung mit diesem „komplett noch nicht entwickelten Thema“. Edukationsvideos für Kinder- und Palliativmediziner sowie für Pflegekräfte brachte Rolke hier als Möglichkeit der Schulung ins Spiel, um einerseits über die seltenen Krankheitsbilder und beispielsweise auch den Umgang mit den Eltern als primärem Ansprechpartner zu informieren.

Ob die Regelversorgung auch bereits eine vernachlässigte Größe im Bezug auf die Palliativmedizin sei, wollte Frings anschließend von Dr. med. Dr. phil. Eckhard Eichner, Stiftungsratsvorsitzender der Deutschen Palliativ Stiftung und Vorsitzender der Augsburger Hospiz- und Palliativversorgung e.V. wissen. Für ihn ist das HPG „ein großer Wurf“. Adressiert würden hier mit den Altenheimen, den Krankenhäusern und der ambulanten Versorgung jenseits der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) die Orte, an denen Menschen am häufigsten versterben. Für Eichner gehört die allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV) zu den vernachlässigten Bereichen, auch wenn diese definitionsgemäß zur Regelversorgung gehöre. Er fordert eine Dreistufigkeit aus Regelversorgung, allgemeiner und spezialisierter ambulanter Palliativversorgung.

Im HPG würden hier von den Ärzten und den Pflegekräften Qualifikationen gefordert, damit sie dies auch abrechnen können. „Ich verspreche mir davon, wenn das wirklich umgesetzt wird und das HPG zudem weiter verfeinert wird, dass wir deutlich mehr Menschen erreichen werden, zu einem Zeitpunkt, zu dem zumindest in Bayern die SAPV noch nicht greift.“ Denn dort sei diese vergütungsbestimmt eine Frage der letzten Lebenstage. Aber die Palliativsituation sei eben nicht eine Frage der letzten Tagen, sondern durchaus von Monaten und Jahren. „Und hier beim vertrauten Hausarzt und Pflegedienst in Kombination mit der Regelversorgung eine bessere Versorgung herzustellen, wäre mir ein großes Anliegen“, so Eichner. Hausarzt und ambulanter Pflegedienst müssten dann eingebunden werden.

Bei den Pflegediensten ist das ein Problem der Vergütung, konstatierte Eichner. Ich bin sehr gespannt, ob wir in der häuslichen Krankenpflege (HKP) eine Richtlinie bekommen, die es ihnen ermöglicht, diese Zeit aufzuwenden. Dieser Forderung hielt Marcus Schneider, Referent beim GKV-Spitzenverband, entgegen, dass der Rahmen des Gesetzes durch die Selbstverwaltung nun gesetzt sei, d.h. neue Vereinbarungen zur stationären Hospizversorgung und Förderung ambulanter Hospizdienste sowie zur gesundheitlichen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase getroffen seien und es nun abzuwarten gelte, wie sich die Umsetzung gestalte.

Was kann die Caring Community leisten?

Auf die Frage nach möglichen ethischen Defiziten des HPG antwortete Dr. Frans Vosman, Professor für Care-Ethik an der Universität Utrecht, Niederlande, dass die Organisation einer sorgenden Gemeinde in größerem Maße von unten, also gesellschaftlich motiviert, erfolgen müsse. Die durch Vosman identifizierte „Obrigkeitshörigkeit preußischer Natur“ der Deutschen begünstige eine „Entmündigung der Bürger durch Vater Staat“. Vosman zeigte sich beeindruckt von den finanziellen Aufwendungen, die Deutschland in seine Gesundheitsversorgung und konkret auch in die pflegerische und medizinische Versorgung der Menschen am Lebensende investiert, monierte jedoch, dass das beim Patienten im Bett letztlich nicht ankomme. „Die ‚Arme‘ der Politik und der Planung sind möglicherweise zu kurz“, mutmaßte der Niederländer.

Die Caring Community ist seiner Meinung nach in der Lage, die professionelle, sozialstaatliche Leistung der Hospiz- und Palliativmedizin mit dem bürgerschaftlichen Engagement zusammenzubringen, und somit eine effektive Versorgung am Lebensende zu ermöglichen. Vosman empfiehlt, die bisherigen Erfahrungen von Caring Communities, wie sie in Wien oder Austerlitz vorliegen, zu verwerten und horizontal zu verbreiten.

Ein Schlüsselfaktor sei beim Modell der sorgenden Gemeinden eine starke bürgerliche Stimme, die Kern eines lebendigen bürgerschaftlichen Gewebes sein sollte und dieses damit zusammenhalten könne. Der Rückgriff auf den gesellschaftlichen Erfahrungshorizont sowie soziale Strukturen im Quartier und damit Teilhabe sei genauso wie eine Verständigung auf Augenhöhe essenziell für eine menschliche Pflege am Lebensende. Vosman resümierte, dass das Modell der Caring Communities durchaus den ländlichen Raum stärken könne. <<

Ausgabe 01 / 2018