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Pflege: Geld allein reicht nicht mehr

08.10.2018 06:14
Eine Simulationsrechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt, dass bis zum Jahr 2035 bereits vier Millionen Menschen in Deutschland auf Pflege angewiesen sein könnten. Doch die Zahlen, die auf einer Pressekonferenz des Instituts der Deutschen Wirtschaft Anfang September in Berlin vorgestellt wurden, machen auch deutlich, dass schon heute entsprechende Fachkräfte fehlen – und die Lücke wird stetig größer. Das Fazit der Studienautorin Dr. Susanna Kochskämper ist gleichzeitig ein Appell an die Verantwortlichen auf Bundes- und Länderebene: Es muss dringend vorgesorgt werden.

>> Bei der Präsentation des Reports erklärte Professor Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, zunächst die Motivation zur Analyse der Pflegefallzahlen: So sei in den vergangenen Monaten viel über den Personalnotstand in der Altenpflege berichtet worden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn plane unter anderem 13.000 neue Stellen im Pflegebereich zu schaffen. Zusätzlich sollen Gelder für technische Ausrüstung, betriebliche Gesundheitsförderung und Kinderbetreuung für Pflegepersonal bereitgestellt werden. Diese Ausgangspunkte habe man zum Anlass genommen, der Frage nach dem Pflegenotstand nachzukommen und sich folgende Fragen gestellt: „Welcher Fachkräftebedarf existiert schon heute und wie sieht es in Zukunft aus? Und woher sollen die zusätzlichen Kräfte kommen?“, so Hüther. „Um diese Fragen zu beantworten, hat das IW die aktuellen Pläne des Gesundheitsministers analysiert.“

Die Zahlen zeigen laut Hüther, dass knapp eine halbe Million Beschäftigte gegenwärtig als Altenpfleger (244.000) oder Altenpflegehelfer (228.700) arbeiten – und der Bedarf ist weiter groß. Im Jahr 2017 waren pro Monat durchschnittlich 14.220 offene Stellen für Altenpfleger und zusätzliche 8.000 Stellen für Altenpflegehelfer gemeldet. Ihnen gegenüber stünde eine vergleichsweise geringe Zahl an passend qualifizierten Arbeitslosen, die nicht annähernd zur Besetzung der offenen Stellen ausreicht: „Derzeit kommen auf je 100 gemeldete Stellen für Altenpfleger gerade einmal 22 arbeitslose Fachkräfte – und das vor dem Hintergrund, dass erfahrungsgemäß nur etwa jede zweite offene Stelle auch bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet wird.“

Doch es gebe durchaus auch positive Entwicklungen in dem Bereich zu beobachten: „Das zeigt zum einen die Entwicklung der Beschäftigtenzahl, die sich zwischen 2013 und 2016 deutlich erhöht hat: Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Pflege-Fachkräfte stieg um 14,5 Prozent, die der Helfer sogar um 15,7 Prozent.“ Zum anderen sei auch die Anzahl der Anfänger in der Altenpflegeausbildung in den vergangenen zehn Jahren um zwei Drittel gestiegen.

Bund und Länder in der Pflicht

Trotz dieser positiven Beschäftigungsentwicklungen werde aber auch deutlich, dass der wachsende Bedarf in der Altenpflege nicht kompensiert werden könnte. Dafür wären mehrere Faktoren verantwortlich. Hüther führte aus: „Zum einen ist ein Teil des bisherigen Beschäftigungsanstiegs darauf zurückzuführen, dass es immer mehr Teilzeitbeschäftigte gibt – damit erhöht sich zwar die Zahl der Pfleger, die Zahl der Pflegestunden steigt aber deutlich langsamer als es bei Vollzeitstellen der Fall wäre.“ Zum anderen stieg auch die Nachfrage in diesem Bereich enorm – die Zahl der Pflegebedürftigen nehme seit Jahren zu – allein zwischen 1999 und 2015 von rund zwei Millionen auf über drei Millionen Menschen. Das bedeute, so Hüther, „dass trotz steigender Beschäftigungs- und Ausbildungszahlen die Nachfrage nach professioneller Pflege dem Angebot momentan davonläuft.“

Das IW sei daraufhin auch der Frage nach dem zukünftigen Trend beim Fachkräftemangel auf Basis zweier Szenarien nachgegangen. Im Basisszenario würden, ausgehend von insgesamt rund 344.000 Fachkräften (2015), bereits 2025 knapp 420.000 Personen benötigt – also gut 76.000 Personen mehr. Bis 2035 steigt dieser Bedarf weiter auf knapp 494.000. Er liegt dann um fast 150.000 Personen höher als heute. „In dem zweiten Szenario, in dem sich der Gesundheitszustand positiv mit der Lebenserwartung entwickelt, werden bis 2035 immer noch 130.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt.“

Um die Pflege dieser Menschen auch in Zukunft gewährleisten zu können, müsse die Zahl der Pflegefachkräfte deutschlandweit stark ansteigen – bis 2035 auf rund eine halbe Million, erläuterte IW-Wissenschaftlerin Dr. Susanna Kochskämper. Um einen Kollaps zu verhindern, müssten Bund und Länder die Rahmenbedingungen für eine ausreichende Versorgung schaffen und den Pflegeberuf attraktiver machen. „Dabei geht es nicht nur darum, das Gehalt anzuheben“, betonte Kochskämper. Anzusetzen sei auch bei der Weiterbildung von Pflegehelfern, ebenso biete die Digitalisierung die Möglichkeit, Abläufe zu optimieren und Pfleger zu entlasten. „Solche Maßnahmen können aber langfristig nur fruchten, wenn gleichzeitig konsequent Bürokratie abgebaut wird“, so Kochskämpers Fazit. <<

Ausgabe 03 / 2018