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„High-Road-Strategie“

06.08.2019 09:16
Die Studie „Zwischen Aufwertung, Abwertung und Polarisierung. Chancen der Tarif- und Lohnpolitik für eine arbeitspolitische „High-Road-Strategie in der Altenpflege“ beschäftigt sich mit einer Verbesserung der Verdienstsituation in der Altenpflege und ihrer Refinanzierungsgrundlagen als sozialpolitischer Notwendigkeit sowie als Voraussetzung der künftigen Branchenentwicklung. Dabei differenzieren die Studienautoren Michaela Evans und Christine Ludwig zwischen drei Aspekten: dem Lohnniveau, der Lohnentwicklung und der Lohnverteilung. Denn diese Unterscheidung öffne den Blick für die Altenpflege im gegenwärtigen Spannungsfeld von Aufwertung, Abwertung und Polarisierung.

>> Das Lohnniveau in der Pflegebranche ist derzeit oft Diskussionsgegenstand. Besonders die Bezahlung von Altenpflegerinnen und Altenpflegern wird kritisiert.  Doch die Politik hat reagiert und so forderte beispielsweise  jüngstGesundheitsminister Jens Spahn einen höheren Mindestlohn für Pflegekräfte von „gut 14 Euro“. Dabei will er aber zwischen Fach- und Hilfskräften differenzieren.Auch der Abschluss von flächendeckenden Tarifverträgen in der Altenpflege ist derzeit politischer Wille.

Arm trotz Arbeit?

Die von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie des Instituts Arbeit und Technik (IAT) an der Hochschule Gelsenkirchen Studie offenbart: Während sich die Verdienste von Fachkräften der Gesundheitspflege in Krankenhäusern im Bereich des mittleren Lohns aller Berufsgruppen in Deutschland (rund 3.200 Euro brutto im Monat für eine Vollzeitstelle) bewegen, kamen Fachkräfte in der Altenpflege 2017 im Mittel (Median) auf lediglich rund 2.740 Euro brutto für eine Vollzeitstelle. Das entspreche nur etwa 85 Prozent des mittleren Verdienstes für alle Berufe. Hilfskräfte in der Altenpflege verdienen den Ergebnissen zufolge in Vollzeit im Mittel lediglich rund 1.940 Euro pro Monat – knapp 61 Prozent des Medianverdienstes aller Vollzeitbeschäftigten.

Die Studienautorinnen Michaela Evans und Christine Ludwig haben die repräsentative Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit für die Jahre 2017 und 2012 ausgewertet. Neben dem Verdienstniveau nehmen sie besonders die Entwicklung und die Verteilung der Verdienste in den Blick. Ins Auge gefallen ist ihnen dabei, dass die Entgelte von Altenpflegekräften sehr stark nach Beruf, Region und Art der Pflegeeinrichtung differieren. Altenpflegekräfte in Krankenhäusern verdienen demnach deutlich besser als in Senioreneinrichtungen oder der ambulanten Pflege. Grund dafür sei unter anderem auch, dass in Kliniken häufiger Tarifverträge gelten. Auf diese trifft man besonders selten in der ambulanten Altenpflege – mit ein Grund für das Schlusslicht Berufsgruppe Altenpflege in Sachen Bezahlung.

Die Auswertung erlaube auch einen Blick auf die unteren 20 Prozent der Verdienste in den verschiedenen Pflegetätigkeiten. Hier liegen beispielsweise die Einkommen der Altenpflegehelfer und -helferinnen in der ambulanten Pflege für eine Vollzeitstelle unter 1.560 Euro im Monat und damit im Bereich des Allgemeinen Mindestlohns. „Eine Zahl, die an Brisanz gewinnt, verdeutlicht man sich, dass 67 Prozent der Hilfskräfte in der Altenpflege in Teilzeit arbeiten und deshalb noch einmal niedrigere Einkommen erzielen“, sagt IAT-Expertin Evans.

„Die Beschäftigten im gesellschaftlich enorm wichtigen Tätigkeitsfeld der Altenpflege tragen ein überdurchschnittliches Risiko, trotz Arbeit arm zu sein“, konstatiert Studienautorin Ludwig. Das sei nicht nur ein Problem für die Betroffenen, sondern es stelle eine schwere Hypothek für die Arbeitskräftesicherung in der Altenpflege dar – und tangiere damit auch gesamte Gesellschaft und die Wirtschaft: „Auch in anderen Branchen leistet die Altenpflege über ihre Dienste einen Beitrag dazu, den Produktionsfaktor ‚Arbeit‘ abzusichern. Denn zunehmend mehr Erwerbstätige sind gleichzeitig pflegende Angehörige“, schreiben die Wissenschaftlerinnen.

Problematisch: die Refinanzierung von Lohnerhöhungen

Um eine Abwanderung der Fachkräfte aus der Altenpflege abzubremsen, brauche es nach Analyse der IAT-Expertinnen eine arbeitspolitische „High-Road-Strategie“ zur Aufwertung der Altenpflege. Teil dieser Strategie müsse es sein, durch flächendeckende tarifliche Mindeststandards faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen. Neben Lohn- und Tariffragen müssten aber auch die Personalbemessung, verlässliche Arbeitszeiten, berufliche Qualifizierung oder auch die Einführung digitaler Technik angegangen werden. Die dafür notwendige Datengrundlage könne ein neu einzurichtendes Berichtssystem zur Verdienst- und Personalstrukturentwicklung in der Altenpflege liefern.

Zudem müssten die gesetzlichen Vorgaben für die Refinanzierung von Lohnerhöhungen in der Branche geändert werden. Wenn Pflegerinnen und Pfleger der Altenhilfe besser bezahlt würden, schlage das bislang direkt auf die Eigenbeiträge der Gepflegten durch, weil die Pflegeversicherung Lohnerhöhungen nicht übernehme. Durch diesen Mechanismus würden die Löhne in der Altenpflege „faktisch auf relativ niedrigem Niveau ausgebremst“, erklären die Wissenschaftlerinnen.

Das Ziel, die Löhne in der Altenpflege der Bezahlung in der Krankenpflege anzunähern, sei auch deshalb besonders drängend, weil durch die Reform der Ausbildung für Pflegeberufe alle Pflegerinnen und Pfleger zunächst mit einer „generalistischen“ Ausbildung beginnen und sich erst im zweiten Schritt für eine Spezialisierung entscheiden können. Vor dem Hintergrund des Lohnniveaus stellt sich hier einmal mehr die Frage nach der Attraktivität dieses Ausbildungsberufes. <<

Ausgabe 02 / 2019