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„Vergleichsweise schlecht“

06.08.2019 09:37
Jährlich analysiert die Techniker Krankenkasse (TK) die Krankschreibungen und Arzneimittelverordnungen der TK-versicherten Erwerbs- oder arbeitslos gemeldeten Personen. Im Jahr 2018 waren das nach eigenen Angaben rund 5,2 Millionen. Der aktuelle Report rückt in diesem Jahr die gesundheitliche Situation der Pflegekräfte in den Fokus und titelt: „Pflegefall Pflegebranche? So geht’s Deutschlands Pflegekräften.“ Die Krankenkasse hat dafür die Daten zur Arbeitsunfähigkeit sowie zu Arzneimittelverordnungen von Berufstätigen der Pflegebranche analysiert und mit den Daten der anderen Berufsgruppen verglichen. Bleibt zu fragen: Wie geht‘s denn nun Deutschlands Pflegekräften?

>> „In unseren Ergebnissen finden wir Hinweise auf deutliche gesundheitliche Belastungen bei Pflegekräften. Kurz gesagt: Der Gesundheitszustand ist vergleichsweise schlecht“, fasst Dr. Thomas Grobe vom AQUA-Institut, die Ergebnisse des aktuellen Gesundheitsreports für den Fokus der Pflegebranche  zusammen.

Der durchschnittliche Arbeitnehmer fehlte im Jahr 2018 an rund 15 Tagen – ein Plus von 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Angehörigen der Pflegebranche waren krankheitsbedingt hingegen 23 Tage nicht an ihrem Arbeitsplatz, wobei Altenpflegekräfte noch einmal häufiger fehlten, als ihre Kollegen aus der Krankenpflege (siehe Grafik). Insgesamt weist die Branche an Fehltagen also ein deutliches Plus von 8 Tagen im Vergleich zu den anderen Berufsgruppen auf. Schaut man sich die Datengrundlage der Untersuchung an, so befanden sich 2018 bei der Techniker jahresdurchschnittlich 181.000 Berufstätige in einem Pflegeberuf, davon 129.000 in Krankenpflege- und 52.000 in Altenpflegeberufen. Der Anteil der Beschäftigten in Krankenpflegeberufen an allen bei der TK-versicherten Berufstätigen betrug im Jahr 2018 2,6 Prozent. Auf Berufstätige in Altenpflegeberufen entfiel ein Anteil von einem Prozent. Der Frauenanteil unter den Beschäftigten in Pflegeberufen lag nach den vorliegenden Daten bei gut 80 Prozent.

Kümmern um die, die heute schon pflegen

„Beschäftigte in der Pflege sind nicht nur häufiger und insgesamt länger krank“, führt Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK, weiter aus. „Sie verzeichnen auch insbesondere bei Erkrankungen des Bewegungsapparats und bei psychischen Erkrankungen viel höhere Fehlzeiten als der Schnitt der Berufstätigen. Oder mit anderen Worten: Pflege kann – deutlich stärker als andere Berufe – auf die Gesundheit gehen, allem voran auf den Rücken und die Psyche“, ergänzt Baas, der deutlich macht, wie immens wichtig der Blick auf die aktuelle Situation in der Pflege Tätigen ist – auch in Zeiten des Fachkräftemangels. Den politischen Handlungswillen mit Verweis auf die „Konzertierte Aktion Pflege“ (KAP) begrüßend, sei es wichtig, sich „insbesondere auch um die (zu) kümmern, die heute schon pflegen“.

Dass es diesen zunehmend weniger gut geht, zeigen weitere Zahlen des Gesundheitsreportes. Im Verhältnis zu den Berufstätigen insgesamt wurden im letzten Jahr wesentlich mehr Fehltage  im Hinblick auf psychische Störungen und Erkrankungen des Bewegungsapparates verzeichnet. Die letztgenannte Diagnose produzierte bei Angehörigen der Pflegebranche beispielsweise 478 AU-Tage je 100 Versicherungsjahren, während sie bei den Angehörigen der übrigen Berufsgruppen nur für 261 AU-Tage je 100 Versicherungsjahren verantwortlich war. Bei psychischen Störungen verhielt es sich ähnlich: 463 AU-Tage je 100 Versicherungsjahre der Pflegebranche stehen 247 AU-Tage je 100 Versicherungsjahre aller anderen Berufsgruppen gegenüber.

Sieht man sich die Belas- tungsschwerpunkte getrennt nach Geschlechtern an, so zeigt sich, dass bei Männern die psychische Belastung im Verhältnis zur Vergleichsgruppe der übrigen Arbeitnehmer eine größere ist und bei Frauen Erkrankungen des Bewegungsapparates eine größerer Rolle spielen. So stehen hier 544,5 AU-Tagen je 100 Versicherungsjahren der Pflegeberufsangehörigen 265 AU-Tagen je 100 Versicherungsjahren der Frauen insgesamt gegenüber. Die Autoren weisen auf die hohe körperliche Belastung der Arbeitnehmerinnen in der Pflegebranche, allen voran der Altenpflege, hin. Unter den 10 häufigsten ICD-Diagnosen rangiert unter den Pflegeberufen „Akute Infektionen an mehreren oder nicht näher bezeichneten Lokalisationen der oberen Atemwege“ auf Rang 1 (149 AU-Tage je 100 Versicherungsjahre; Berufstätige insgesamt 125 AU-Tage je 100 Versicherungsjahre), die aber mit einer durchschnittlichen Falldauer von sieben Tagen bei Berufstätigen in der Pflege nur für relativ kurze Zeiträume zu Krankschreibungen führten.

Betrachtet man Alten- und Krankenpflege getrennt, so sind „Rückenschmerzen“ in der Altenpflege mit 173 AU-Tagen je 100 Versicherungsjahre hier der häufigste Grund für das Fernbleiben vom Arbeitsplatz, während in der Krankenpflege dieses Diagnose „nur“ mit 126 AU-Tagen je 100 Versicherungsjahre verzeichnet ist. In der Altenpflege findet sich auf Platz 2 mit 155 AU-Tagen je 100 Versicherungsjahre die Diagnose „Depressive Episode“, für die eine durchschnittliche Falldauer von 58,6 Tagen ermittelt wurde. Im Vergleich dazu: Krankschreibungen mit Rückenschmerzen dauerten durchschnittlich 16 Tag.

Konkurrenz um Personal

Die Autoren des Reportes haben auch die Arzneimittelverordnungen bei Berufstätigen in der Pflege untersucht, die indirekt auch Rückschlüsse auf Erkrankungen und gesundheitliche Zustände  solcher Art zulassen, dass sie nicht  typischerweise zu Krankschreibungen führen. Die Reportautoren stellen fest: „Substanzübergreifende Auswertungen zeigen, dass Berufstätigen in Kranken- und Altenpflegeberufen im Durchschnitt sowohl mehr Präparate als auch größere Arzneimittel- mengen gemessen in definierten beziehungsweise üblicherweise verordneten Tagesdosen (englisch: „Defined Daily Dose“, DDD) als die Vergleichsgruppe verordnet bekamen.“

Gesundheit als Waffe gegen den Fachkräftemangel

Seit dem Jahr 2004 sei ein Anstieg der verordneten Tagesdosen bei Männern und Frauen in Krankenpflegeberufen dokumentiert, wobei die Abweichungen von Vergleichswerten zu Berufstätigen insgesamt seit dem Jahr 2009 zunehmend größer geworden seien. Das manifestiert sich in der seit 2004 Zunahme der Zahl der verordneten Tagesdosen um 48 Prozent in der Gruppe der Berufstätigen, während die Zunahme bei Berufstätigen in Krankenpflegeberufen im selben Zeitraum eine Steigerung von 74 Prozent erfuhr. Ganz oben stehen hinsichtlich der durchschnittlich verordneten Tagesdosen bei Berufstätigen in Pflegeberufen Arzneimittel zur Blutdrucksenkung, zur Behandlung von Magengeschwüren, Antidepressiva und Schilddrüsenpräparate.

Welche Schlüsse lassen sich nun aus diesen Ergebnissen  für die Pflegefachkräfte ziehen? „Gelingt es künftig, diesen Menschen den Berufsalltag so zu gestalten, dass er nicht mehr ,krank‘ macht, hilft das nicht nur den einzelnen Pflegenden und Gepflegten, sondern ist auch Teil der Lösung gegen den Fachkräftemangel in der Pflege“, analysiert Jens Baas. Denn: In der Regel seien Pflegeberufe eben leider keine „Entscheidung fürs Leben“– viele Pflegekräfte kehrten der Station nach einigen Berufsjahren den Rücken, teilweise schon direkt nach der Ausbildung. Zudem über rund die Hälfte aller Pflegekräfte ihren Beruf nur in Teilzeit aus. In den Auswertungen der TK betrifft dies 53 Prozent der pflegenden Frauen und 26 Prozent der Männer, gegenüber 45 bzw. zehn Prozent bei berufs- und altersübergreifenden Auswertungen.

Mit der Elektronischen Patientenakte den Krankenstand senken

Wie die TK interveniert, erklärt Jens Baas: „Ganz konkret unterstützen wir beispielsweise das bundesweite Modellprojekt ,Procare‘. Unter der Leitung von Privatdozentin Dr. Bettina Wollesen (Universität Hamburg) entwickeln Wissenschaftler aus ganz Deutschland ein Präventionsprogramm für Pflegeeinrichtungen, das sich an Pflegekräfte und Pflegebedürftige richtet und überprüfen im Anschluss die Erfolge der Interventionen.“ So stünden zum Beispiel Ergonomie-Schulungen, Rückenfitnesskurse, Yoga oder Entspannung sowie Maßnahmen zur Stressbewältigung ganz oben auf der Wunschliste der Mitarbeiter, wie Wollesen erklärt. Für die BewohnerInnen wiederum sei auf Basis eines partizipativen Ansatzes eine Intervention entwickelt worden, die Bewegung, Kognition und psycho-soziales Wohlbefinden adressiere. Erste Ergebnisse von Interventionsteilnehmern in Hamburg lägen vor und sprächen für einen Erfolg der seit 2017 implementierten Maßnahmen, berichtet Wollesen.

Dass auch der Einsatz einer Elektronischen Patientenakte zur Entlastung beitragen kann, präsentierte Dr. Irmgard Landgraf auf der Pressekonferenz. Als niedergelassene Ärztin betreut sie ein Berliner Pflegeheim und sie konstatiert, dass die gute Kenntnis der Pflegekräfte durch die barrierearme Information durch die Patientenakte die Patientensicherheit „sehr erhöht“. „Zusammenarbeit auf Augenhöhe“, ein „unterdurchschnittlicher Krankenstand“ und eine „extrem geringe Fluktuation“ – diese Entwicklungen sprechen da für sich. <<

Ausgabe 02 / 2019