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Akademisierung: „Qualität kostet!“

02.12.2019 10:25
Am 1. September dieses Jahres ist Margareta Halek auf den Lehrstuhl für Pflegewissenschaft an der Universität Witten/ Herdecke berufen worden und folgt damit der Pionierin Christel Bienstein als Leiterin des Pflegedepartments nach. Ihren Fokus bei Forschung und Lehre am Lehrstuhl Pflegewissenschaft will Halek zukünftig auf pflegerische Interventionen für ältere Menschen mit komplexen Pflegebedarfen legen. Auch der Umgang mit demenzbedingten Veränderungen im Verhalten von Menschen mit Demenz ist ein wichtiges Forschungsthema, zu dem Halek ab Februar 2020 eine neue Studie leiten wird. Über die akademische Pflegelandschaft, die strukturelle Entwicklung des Studiengangs Pflegewissenschaft an der Uni Witten/ Herdecke und die Technisierung bzw. Digitalisierung in der Pflege haben wir mit ihr gesprochen.

>> Frau Professor Halek, Sie sind im September auf den Lehrstuhl für Pflegewissenschaft berufen worden und folgen Christel Bienstein als Leiterin des Pflegedepartments nach. Wo steht die Pflegewissenschaft an der Universität Witten/Herdecke heute und in welche Richtung möchten Sie die Disziplin entwickeln?
Meine Gespräche im Rahmen der Amtsübernahme lassen keinen Zweifel daran, dass die Pflegewissenschaft an der Universität etabliert ist. Durch die engagierte Arbeit meiner Vorgängerin Professor Christel Bienstein stellt niemand die Frage nach der Berechtigung dieses Departments. Das ist sehr positiv für die Entwicklung der Pflegewissenschaft. Wir sind hier in totalen Umbrüchen. Nicht nur der sich vollziehende Generationswechsel, sondern auch die zukünftige thematische Ausrichtung beschäftigen uns derzeit. Wir haben bereits 3 Säulen identifiziert, die die Basis für unsere Arbeit bilden sollen.

Würden Sie uns diese Säulen näher erläutern?
Aber gerne. Die erste Säule bleibt das Alleinstellungsmerkmal der strikten Forschungsausrichtung in der Pflegewissenschaft. Unsere Studenten kennen sich zum Beispiel sehr gut mit Forschungsmethoden aus, werden darin geschult, kritisch mit diesen umzugehen und auch die Promotionsquote ist hoch. Im Vergleich mit anderen Angeboten dieser Art sind wir schon sehr gut aufgestellt, wollen unser Profil jedoch noch schärfen, denn die Anforderungen an Pflegewissenschaft und Pflegeforschung entwickeln sich international. Da muss man auch schauen, dass man den Anschluss behält.

Womit beschäftigt sich die zweite Säule?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass einige Studierende während des Studiums für sich entdecken, dass die Beschäftigung mit Forschungsfragen für sie weniger interessant ist. Dass Theorieentwicklung oder Generalisierbarkeit der Ergebnisse langwierige Prozesse sind und sie sich vorzugsweise mit der Praxisentwicklung, sprich Organisation, Motivationsmethoden, Projektmanagement, Evaluationsmethoden, interdisziplinärem Arbeiten u.a. beschäftigen. Daher haben wir entschieden, als zweite Säule eine generalistische Praxisentwicklung zu konstituieren. Das wollen wir nun angehen, denn wir müssen unseren pflegewissenschaftlichen Studiengang reakkreditieren, und das möchten wir dazu nutzen, das Ganze auf diese Bedarfe auszurichten.

Und um die Trias komplett zu machen ... 
Die dritte Säule, die wir bereits in Angriff genommen haben, die jedoch in Zukunft weiterer Entwicklung bedarf, ist die Säule der erweiterten Pflegepraxis. Hinter dem Schlagwort ANP – Advanced Nursing Practice - stehen hier sehr praktisch ausgebildete Akademiker, die sich im Gegensatz zur generalistischen Praxisentwicklung stärker inhaltlich orientieren und damit den „Hands on“-Bereich tangieren. Wir haben an dem von der Robert Bosch Stiftung finanzierten Projekt teilgenommen, bei dem mit der Universität Witten/Herdecke unter der Leitung von Prof. Wilfried Schnepp, die Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar und die Katholische Stiftungshochschule München 3 Hochschulen bis Herbst 2020 einen Masterstudiengang Community Health Nursing konzipieren. Begleitet wird das Projekt von der Agnes Karll-Gesellschaft im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe.

Was verbirgt sich hinter dem Studiengang Community Health Nursing?
In Deutschland existiert der Studiengang bisher nicht, in anderen Ländern wie Kanada oder Finnland ist er hingegen seit langem etabliert. Die CHN unterstützen in Städten und ländlichen Regionen die primäre Gesundheitsversorgung, wobei Gesundheitszentren eine Schlüsselfunktion einnehmen. Hier, wo Patienten speziell auf sie abgestimmte Versorgungsangebote erhalten, arbeiten die Nurses in multiprofessionellen Teams, zu denen auch Arztpersonal oder Sozialarbeiterinnen und -arbeiter gehören. Gesundheitsförderung und Prävention in der Kommune sind die zentralen Aufgaben der Community Health Nurses. Inhaltlich wäre das eine große Innovation, aber es stellt sich die Frage, ob die Absolventen adäquate Tätigkeitsfelder finden. Denn es geht nicht darum, dass die CHN in den ambulanten Dienst gehen, sondern eine Systemperspektive auf die Gemeinde haben, Versogungsnetzwerke schaffen, Schnittstellen managen und damit in gewisser Weise Case Manager sein können.

Und wie ist der Status quo?
Wir würden diese Innovation gerne einführen, beschäftigen uns derzeit intern gerade mit Wirtschaftlichkeitsaspekten, aber die Frage ist: Gibt es so viele mutige Pflegende, die sich auf einen solchen Masterstudiengang einlassen?

Wie ist es denn um die akademischen Pflegelandschaft derzeit grundsätzlich bestellt? Was kann die akademische Ausbildung leisten?
Wir stecken momentan in einer ziemlich chaotischen Phase. Die Landschaft ist da sehr vielfältig – aber auch unübersichtlich. Was wir noch nicht deutlich machen können, ist die Lokalisierung, wann es für die Pflegenden lohnenswert und sinnvoll ist, eine akademische Ausbildung anzustreben. Nicht jeder möchte auch nach dem Studium in Leitung oder Lehre. Es gibt viele, die in die Praxis zurückwollen, in eine qualifizierte Praxis mit Verantwortung und der Möglichkeit, neue Prozesse oder Strukturen zu entwickeln. Doch welcher Studiengang zu welchen Tätigkeiten befähigt und dem Einzelnen die gewünschten Vorteile bringt, ist noch zu oft unklar. Ich hoffe, dass wir diese chaotische Phase überstehen und einzelne Profile bald besser ableitbar sind.

Und wie kommt dieser Prozess Ihrer Wahrnehmung nach voran?
Wir haben seit kurzem in Nordrhein-Westfalen das Netzwerk Pflegehochschulen NRW, in dem dieser Ausbau stattfindet. Da tastet man sich vorsichtig heran, wobei natürlich die Tatsache des Konkurrenzdrucks eine Rolle spielt. Wir buhlen alle um den Nachwuchs und versuchen attraktive Angebote zu machen, was die unübersichtliche Angebotslandschaft nicht verringert. Hinzu kommt, dass oft schlecht ersichtlich ist, welche Ausbildung und welche Schwerpunkte die Professoren haben. Wir haben bisher noch nicht
so viele Akademiker, die professorabel sind, dafür aber viele Studiengänge und möglicherweise bleibt die Profilentwicklung da einfach manchmal auf der Strecke. Da brauchen wir mehr Zeit.

Die andere Frage ist: Was sind die Bedarfe in der Praxis? Wir versuchen viel stärker diese Bedarfe zu erkennen und darauf zu reagieren; das bedingt zum Beispiel eine größere Flexibilität in der Studiengangsgestaltung. Darüber hinaus ist die Frage, ob wir eine größere Ausdifferenzierung benötigen. Es gibt beispielsweise ANPs, die sich nur mit chronischen Wunden beschäftigen und man muss sich die Frage stellen, ob das die Zukunft ist, oder man sich doch breiter aufstellen muss. Das sind Fragen, die uns eigentlich die Versorgung zurückmelden müsste und es ist absolut notwendig, diesen Dialog zu intensivieren. Dramatisch wäre natürlich, wenn aufgrund des Fachkräftemangels die Politik alle „ans Bett“ bringt und das Akademische auf der Strecke bleibt. Wir brauchen beides: Wissenschaft und Praxis. Es wird viele Parallelentwicklungen geben, aber ich wage mal die Prognose, dass es in 10 Jahren wieder besser aussehen könnte.

Was entgegnen Sie Kritikern, die nur Akademiker in Forschung und Lehre und maximal in der Einrichtungsleitung sehen wollen? Und die auf die steigenden Kosten für akademisch gebildete Kräfte verweisen?
Qualität kostet! Bei der Grundschullehrerin sagt auch niemand: Das könnten wir mit einer anderen Ausbildung aber billiger haben. Nur in der Pflege wird mit der Tradition argumentiert. Aktuelle internationale Studien belegen, dass die Versorgungsqualität steigt, wenn die Pflegefachkräfte akademisch ausgebildet sind. In Deutschland kann man den Unterschied zwischen schulisch und akademisch ausgebildeter Pflegekraft in der Praxis bisher schwer definieren, weil wir einfach noch zu wenig Akademiker haben. Im Moment saugt der Markt alles auf: alle, die akademisch gebildet sind, kommen in die Leitungs- und Steuerungsfunktion, was jedoch erst mal normal ist, denke ich. Aus den Krankenhäusern kommen aber beispielsweise durchaus Anfragen.

Der Schwerpunkt Ihrer Forschung liegt im Gebiet der Versorgungsinterventionen. Auf der Berliner Pflegekonferenz haben Sie ein Projekt inklusive App vorgestellt, das Pflegende und Angehörige dazu befähigen soll, das Verhalten Pflegebedürftiger mit Demenz besser zu verstehen. Wie soll diese Lösung konkret aussehen?
Bei dem Projekt „Vifa-Vielfalt aus einer Hand“ handelt es sich um einen quartiersbezogenen Gesamtversorgungsvertrag für hilfe- und pflegebedürftige Menschen in der Häuslichkeit. Durch die unterschiedlichen Institutionen und Leistungserbringer entsteht ein hoher Koordinationsaufwand, der zu Schnittstellenproblematiken, Brüchen in der Versorgungskontinuität oder sogar zu Versorgungslücken und Fehlversorgung führen kann. Das Gesamtversorgungskonzept der Städtischen Seniorenheime Krefeld (SSK) versucht daher, eine integrierte, vernetzte und aufeinander abgestimmte Versorgung zu gewährleisten. Vier vollstationäre Pflegeeinrichtungen unter dem Dach der SSK bieten diese Versorgungsangebote an. Der Anspruch dabei ist es, sich am sozialen Raum und den individuellen Bedürfnissen und Bedarfen der NutzerInnen zu orientieren. Mit „Vifa“ setzen die SSK einen quartiersbezogenen Gesamtversorgungsvertrag nach § 72 Abs. 2 SGB XI um, der in NRW bislang einmalig ist. Damit können ambulante und stationäre Leistungen aus „einer Hand“ angeboten und direkt mit den Pflegekassen abgerechnet werden.

Mit dem Projekt waren Sie für den Marie Simon Pflegepreis der Berliner Pflegekonferenz nominiert.
Richtig, und auch wenn wir den Preis nicht mit nach Hause nehmen konnten, war die Berliner Pflegekonferenz mit ihren Auszeichnungen für die Uni Witten/Herdecke sehr erfolgreich. Drei der fünf Nominees bauten entweder auf Arbeiten des Departments für Pflegewissenschaft auf, oder hatten Alumna oder Alumni in ihren Reihen, die die Projekte durchgeführt haben. Das hat mich sehr stolz gemacht, da das als Indikator dafür gelten kann, dass wir Menschen aus- und weiterbilden, die erfolgreich Themen aufgreifen, die für die aktuellen und auch zukünftigen Bedarfen der Pflege von Bedeutung sind.

Können Sie das näher erläutern?
So hat beispielsweise die Thematik der pflegenden Kinder und Jugendlichen, mit der sich das auf der Konferenz ausgezeichnete Projekt „Superhands – Hilfe und Rat für Young Carers“ (Bericht siehe Seite 14) auseinandersetzt,  Prof. Dr. Sabine Metzing an der Universität Witten/Herdecke vor rund 10 Jahren als erste auf den Tisch gebracht. Die Zahlen aus ihrer Studie dienten dem Gewinnerprojekt als Ausgangspunkt für die Arbeit. Also sind wir auch ein bisschen an diesem Sieg beteiligt. Es ist erfreulich, dass dieses wichtige Thema zunehmend in den Fokus rückt und die Politik ist aufgefordert, sich damit zu beschäftigen.
Sie entwickeln eine App, die Angehörigen und Pflegenden helfen soll, Menschen mit Demenz besser zu verstehen. Ich beschäftige mich schon sehr lange mit der Frage nach dem Verstehen des Verhaltens von Menschen mit Demenz. Meinen Untersuchungen zugrunde liegt die Tatsache, dass Verhalten immer einen Sinn hat,  den wir aber oft einfach nicht verstehen. Da braucht es gewisse Indikatoren. Der Ursprung liegt bei der Unterstützung Pflegender in Altenheimen, denn je besser man das Verhalten der Demenzkranken versteht, umso besser kann man die Intervention planen. Es gibt sehr viel englischsprachige Studien dazu, aber das Wissen ist in der professionellen Pflegepraxis nicht vorhanden. Da
her haben wir uns sehr viel Mühe gemacht, dieses Wissen in die Pflege zu bringen und zum Beispiel das Thema Fallbesprechungen als eine Plattform des Austausches, des Wissens, der Vermittlung zu nehmen.

Aber die aktuelle App-Entwicklung „insideDEM“ richtet sich an pflegende Angehörige oder Pflegende von in der Häuslichkeit lebenden demenziell Erkrankten. Irgendwann stellten wir uns im Team die Frage, ob eine Unterstützung für die Pflegenden in der Häuslichkeit nicht noch dringlicher sei, da diese noch viel weniger die Möglichkeit haben, an das Wissen der internationalen Literatur zu gelangen. Ich kam mit Professor Dr.-Ing. Thomas Kirste von der Universität Rostock ins Gespräch, der eine Anwendung, die Entscheidungsprozesse unterstützt, für möglich hielt und wir uns an die Umsetzung gemacht haben. Assistive Technologien können die Versorgung und den Verbleib von Menschen mit Demenz in der Häuslichkeit unterstützen und einen Beitrag zur Steigerung der Lebensqualität leisten. Hier gibt es noch eine große Forschungslücke, die durch die Entwicklung eines technischen Assistenzsystems im Rahmen des Projektes insideDEM geschlossen werden soll. Im ersten Förderzeitraum mussten wir allerdings feststellen, dass das schwieriger war als ursprünglich gedacht.

Das hört sich etwas ernüchtert an.
Ernüchternd war letztlich doch die Erkenntnis, dass wir noch lange nicht da sind, wo wir hinwollen. Denn es fehlen jede Menge Daten, auf deren Basis das System eine begründete Entscheidung treffen könnte. Unser Prototyp, den wir in der Häuslichkeit eingesetzt haben, brachte die Rückmeldung, dass gerade für den beginnenden Pflegeprozess eine digitale Unterstützung von den Pflegenden gewünscht war. Darüber hinaus erwartete die Zielgruppe hier eine intuitivere Bedienung und weiterführende Informationen. Soll heißen, wenn ich zum Beispiel den Vorschlag einer Mobilisierungsmaßnahme für den zu Pflegenden erhalte, will ich auch Vorschläge erreichbarer Physiotherapeuten erhalten. Die User wollen keine Insellösungen, sie wollen das Komplettpaket. Das kann unser System aber noch nicht leisten. Wir arbeiten daran, eine solche Plattform bzw. Ansätze für einen digitalen Ratgeber zu entwickeln. Es kann natürlich auch sein, dass wir feststellen, dass die Entwicklung zu viel Aufwand bedeutet und es letztlich günstiger ist, eine Community Health Nurse dorthin zu schicken, die das Wissen hat und die Prozesse begleiten kann. Wäre auch ein Ergebnis, wenn es am Ende heißt: Die Professionalität kann man nicht ersetzen.

Das Projekt wird fortgesetzt. Wie sieht die Finanzierung aus?
Wir haben wieder einen Antrag beim BMBF gestellt, der auch
genehmigt wurde, sodass der Startschuss im Februar 2020 erfolgen kann. Der digitale Markt ist ja ein Hype-Markt, mit ziemlich viel Wildwuchs. Anwendungs-Entwickler haben oft gar keinen Bezug zur Pflege. Sie entwickeln Lösungen, ohne die Zielgruppe in die Planung miteinzubinden. So fehlt bei vielem die pflegewissenschaftliche Kompetenz, die sicherlich bei der großen Zahl der Projekte nicht in Gänze sichergestellt werden kann, aber da ist auf jeden Fall mehr möglich. Die meisten Projekte finden sich im Bereich Dokumentation oder Datentransfer. Das ist sicher ein wichtiges Thema, aber ich bin beispielsweise ein Verfechter der Pflegedokumentation, da man Einschätzungen und Bewertungen vornimmt, um Interventionen abzuleiten. Dieser Prozess der Reflexion entfällt mit der zunehmenden elektronischen oder digitalen Unterstützung. Da muss man aufpassen, wo die Entwicklung hingeht. Die Unterstützung muss derart sein, dass sie nicht mehr Arbeit macht. Und das sehe ich in der Praxis bisher nicht. Jetzt wird davon gesprochen, dass Einrichtungen IT-Spezialisten und Servicebegleiter brauchen. Die Frage ist: Wo fängt die Unterstützung an und wo wirds zum Problem?

Hilft das DVG von Jens Spahn bei dieser Entwicklung?
Es unterstützt den Transfer bewährter Entwicklung in die Praxis. Diese Hürde abzubauen ist absolut notwendig. Ob das die Entwicklung außerordentlich fördert oder wegweisend sein wird, kann ich nicht sagen, aber ich denke, dass die Entwicklung grundsätzlich notwendig ist. Und warum sollte dann nicht auch eine entsprechend qualifizierte Pflegefachkraft wie die CHN eine digitale Anwendung verschreiben können. Oder ein Hilfsmittel? Wenn innovativ, dann wäre das doch ein konsequenter Schritt.

Welche Rahmenbedingungen muss die Politik denn schaffen, damit die Akademisierung sich weiter positiv entwickeln kann?
Die Politik schaut derzeit intensiv auf die konkrete Versorgung. Und sie suchen nach Lösungswegen für den akuten Pflegefachkräftmangel. Sie setzt auf Fast Tracks zum Beispiel für die Altenpflege, dass sie dann auch schneller bzw. einfacher zu ihrem Abschluss kommen. Ich kann das gut verstehen, glaube aber, dass sie gleichzeitig parallel mit demselben Nachdruck etwas für die Akademisierung tun müssen. Das schließt auch die Einrichtung geeigneter Stellen im System mit ein. Eben auch offen zu sein für neue Rollenbeschreibungen. Natürlich können wir jetzt schon Pflegeprozesse selbstständig steuern, aber ich komme immer an diese Schnittstellen, wo ich keinen Schritt weiterkomme, weil jemand anderes etwas machen muss. Und die Frage ist, gibt es da Tracks, die ich als Pflegender selbstständig durchgehen kann? Das müsste parallel laufen, sonst legen wir ein Übergewicht auf diese Praxis, die jetzt schnell Pflegende produzieren soll und dann gerät die Akademisierung wieder ins Hintertreffen. In der Praxis freut man sich über die Änderungen. Da sind mit den Gesetzen viele Dinge umgesetzt worden, auf die wir lange gewartet haben, aber ich glaube, die Neuerungen müssen jetzt erst mal in der Praxis ankommen und ihre Wirkung entfalten.

Profitieren alle pflegerischen Gesundheitsfachberufe gleichermaßen? Die Professionalisierung im Krankenhaus steht meiner Meinung nach im Fokus und die Altenhilfe bräuchte mehr Aufmerksamkeit. Sie ist immer noch deutlich schlechter gestellt als beispielsweise die Krankenpflege und ist doch mittlerweile eine hochkomplexe Versorgung mit Problematiken physischer und psychischer Natur. Ich glaube, hier wäre noch mehr Qualifizierung angebracht. Aber ich hätte mir gewünscht, dass man auch dort sein Augenmerk auf die Frage richtet, welche Qualifizierung vonnöten ist – nicht zuletzt auch die Bedeutung der akademischen Qualifikation. Das ist hier noch gar nicht angekommen, außer vielleicht partiell in der Leitungsfunktion. Aber das hier ein Masterabsolvent „am Bett“ arbeitet, habe ich noch nie gehört.

Frau Professor Halek, vielen Dank für das Gespräch. <<

Ausgabe 04 / 2019