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Gemeinsamer Kraftakt

05.08.2019 18:30
Geschlossenes Auftreten, positive Botschaften, Engagement für die Sache. Nicht gerade eine charakteristische Beschreibung der Zusammenarbeit der aktuellen Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD. Doch die Trias aus Gesundheitsminister Jens Spahn, Familienministerin Dr. Franziska Giffey und Arbeitsminister Hubertus Heil vermittelt glaubwürdig ihre Ambitionen, in Sachen Pflege voranzukommen. Die Vorstellung der Ergebnisse durch die drei Minister anfang Juni stoßen jedoch auf ein geteiltes Echo.

>> Nicht nachvollziehbar sei die in dem Abschlusspapier dokumentierte Absicht, den Anteil der Zeitarbeitskräfte in der Pflege „nachhaltig zu reduzieren“, urteilt der Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) über den entsprechenden Passus der KAP-Ergebnisse, wobei der Verband grundsätzlich die Motivation, die Qualität in diesem Bereich zu steigern und die Personalknappheit abbauen zu wollen, begrüßt. Zeitarbeitskräfte trügen in der Pflege einerseits als externe, flexibel einsetzbare und gut qualifizierte Personen zur punktuellen Verbesserung der Versorgungssituation bei.

Und andererseits werde die Zeitarbeit in der Pflege in der öffentlichen Diskussion als Scheinriese wahrgenommen, da gerade einmal zwei Prozent aller Pflegekräfte über Personaldienstleister im Einsatz seien. „Personalknappheit in der Pflege wird nicht durch Zeitarbeits-Restriktionen abgebaut“, kritisiert iGZ-Hauptgeschäftsführer Werner Stolz die Berliner Pläne.

Kritik kommt an gleicher Stelle von Sebastian Lazay, Präsident des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister e. V. (BAP). Eine Diskussion „Zeitarbeitsbranche gegen Pflegebranche“ gehe am eigentlichen Kernproblem vorbei. Dünne Personaldecken, unflexible Arbeitszeiten sowie zeitraubende Administrationsprozesse schreckten Interessenten am Pflegeberuf ab oder führten zu einem Arbeitgeberwechsel. „Insofern konkurrieren attraktive Arbeitgeber mit weniger attraktiven Arbeitgebern auf einem freien Arbeitsmarkt um Fachpersonal in der Alten- und Krankenpflege. Der angebliche Kampf von Branche gegen Branche existiert in Wahrheit gar nicht“, konstatiert Lazay.

VdK-Präsidentin Verena Bentele freut sich über die in den Fokus gerückte Wahrnehmung der gesellschaftlichen Bedeutung des Pflegethemas durch die Politik, schränkt jedoch ein: „Dass es sich im Ergebnis im Wesentlichen um bessere Gehaltsstrukturen der Pflegekräfte und die Personalausstattung dreht, ist jedoch ein mageres Ergebnis für ein Jahr Arbeit.“ Eine Gewährleistung einer Tarifbindung der Pflegeunternehmen durch die neu gegründete Bundesvereinigung Arbeitgeber in der Pflegebranche“ (BVAP), hält Bentele aus strukturellen Gründen für schwerlich durchsetzbar. Der seit dem 14. Juni bestehende neue Arbeitgeberverein ist ein Zusammenschluss von Pflegeanbietern und Wohlfahrtsverbänden u.a. des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB), der Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Diakonischen Dienstgeber in Niedersachsen, des Paritätischen Gesamtverbandes und der Volksolidarität. Ausgewiesenes Ziel des Verbandes ist ein repräsentativer Tarifvertrag in der Pflege. Hierfür wolle der Verband zeitnah Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft aufnehmen. Die Inhalte des Tarifvertrages sollen durch die Sozialpartner in den nächsten Monaten ausgehandelt werden.

VdK-Präsidentin Bentele warnt zudem vor einer Anhebung der Pflegeheimkosten zu Lasten der Bewohner im Zuge einer Lohnsteigerung bei Pflegefachkräften. Ein solides Finanzierungskonzept bleibe die KAP schuldig.
Der VdK plädiert in diesem Kontext für die Einführung einer Pflegevollversicherung, die sämtliche Kosten in der Pflege abdeckt. „Das wäre ein Systemwechsel, der aber jetzt angepackt werden sollte“, ist Bentele überzeugt. Zur Finanzierung einer Pflegevollversicherung seien jedoch Steuerzuschüsse notwendig, um die Mehrkosten der Pflegeversicherung auszugleichen.

Die Thematik der steigenden Eigenanteile der Pflegebedürftigen im Falle einer besseren Bezahlung der Pflegekräfte ist auch Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, präsent. Bei den derzeitigen Rahmenbedingungen des Systems für ihn eine logische Konsequenz. „Um dies zu vermeiden, wird derzeit viel über die Begrenzung der pflegebedingten Eigenbeteiligungen diskutiert. Das klingt einfach. Doch den Folgen, wie einem nach oben offenen Leistungsversprechen, müssen wir uns ehrlich stellen“, mahnt Litsch. Und das dulde keinen Aufschub, „denn die Pflege ist bekanntermaßen nur bis zum Jahr 2022 ausreichend finanziert“.

Schub für Digitalisierung

Litsch bewertet die Ergebnisse der Aktion positiv – wobei dadurch besonders die Digitalisierung „einen großen Schub nach vorne“ gemacht hätte, deren Notwendigkeit mit dem Referentenentwurf des Digitale Versorgung Gesetzes nun zum ersten Mal in einem Gesetzgebungsverfahren festgehalten sei. „Das ist absolut sinnvoll, denn die Digitalisierung kann nicht nur dazu beitragen, die Pflege stärker mit anderen Professionen zu vernetzen, sondern sie kann auch die Abläufe in der Pflege unterstützen. Je besser die Prozesse unterstützt werden, desto weniger Bürokratie und desto mehr Zeit für die Pflege“, so Litsch.

„Eine faire Vergütung in der Pflege, mehr Ausbildungsplätze und attraktivere Arbeitsbedingungen: Mit der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) sollen wichtige Schritte unternommen werden, um die Situation der Pflegenden und der zu Pflegenden in Deutschland zu verbessern. Damit eine gute pflegerische Versorgung kein Wunschdenken bleibt, sind auch alle beteiligten Akteure in Niedersachsen gefordert, die abgestimmten Maßnahmen der KAP konsequent anzugehen. Das bedeutet auch: Kostenträger müssen Pflegeleistungen angemessen vergüten und Arbeitgeber die Pflegekräfte vernünftig bezahlen.

Rückt die interprofessionelle Arbeitsteilung näher?

Die Pflegekammer Niedersachsen war an den Beratungen der Konzertierten Aktion Pflege beteiligt und konnte gemeinsam mit den bestehenden Pflegekammern Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein in den Arbeitsgruppen Vorschläge einbringen. Gemeinsam mit Pflegeeinrichtungen, so informiert die Pflegekammer Niedersachsen, wollen die Pflegekammern zum Beispiel ein Modellprojekt zur akutstationären Versorgung von Pflegebedürftigen in Langzeitpflegeeinrichtungen entwickeln. Dabei soll eine neue Versorgungsform geschaffen werden: Die Advanced Practice Nurse. „So können Pflegebedürftige mit kleineren akuten medizinischen Problemen in ihrer gewohnten Umgebung bleiben. Das Pflegefachpersonal in Krankenhäusern und in Pflegeeinrichtungen kann so spürbar entlastet werden.“

Das Thema interprofessionelle Arbeitsteilung im Gesundheitswesen ruft auch noch einmal Martin Litsch auf den Plan, der die Beschlüsse hierzu begrüßt. „Hier geht es um eine neue Rollenaufteilung zwischen Pflege und anderen Gesundheitsberufen, allen voran Ärzten. Für die AOK ist das eine zentrale Fragestellung, um die Kooperation im Gesundheitswesen zu verbessern und die Arbeitszufriedenheit der Pflegefachpersonen zu steigern“, erläutert der Vorstandsvorsitzende der AOK.

Klares Bekenntnis zu Tariflöhnen

Auch das Land Niedersachsen hat sich in die Arbeitsgruppen zu den Themenfeldern „Personalmanagement, Arbeitsschutz, Gesundheitsförderung“ und „Innovative Versorgungsansätze und Digitalisierung“ eingebracht. Die Niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, Dr. Carola Reimann, resümiert: „Ich freue mich sehr, dass Beispiele aus Niedersachsen insbesondere aus dem Förderprogramm zur Stärkung der ambulanten Pflege im ländlichen Raum und aus den Gesundheitsregionen, wie die Einführung kompetenzbasierter Laufbahnen für ältere Beschäftigte sowie Modelle der betrieblichen Gesundheitsförderung eingeflossen sind.“

Auf Landesebene, so Reimann, habe man sich in der Koalitionsvereinbarung klar zu Tariflöhnen bekannt. Doch dafür brauche es Tarifverträge. „Es ist gut, dass der Bund dafür verbesserte Rahmenbedingungen schafft“, betont die Ministerin. Auch auf Bundesebene ist die SPD hier aktiv: Das Bundeskabinett hat im Juni einem Gesetzesvorhaben von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil für eine bessere Bezahlung von Pflegekräften zugestimmt. Der Entwurf sieht unter anderem vor, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber einen Tarifvertrag aushandeln. Diesen will die Bundesregierung per Verordnung für die gesamte Branche als allgemeinverbindlich erklären. Alternativ wird einer höherer Mindestlohn diskutiert.

Spot on: Aus- und Weiterbildung

Dr. Dorothea Voss, Leiterin der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, findet es in diesem Zusammenahng wichtig, „dass sich die Gewerkschaften und die Träger und Einrichtungen zunächst eigenständig auf Tarifverträge verständigen und die Tarifautonomie bewahrt wird. Danach sollte der Gesetzgeber, also der Arbeitsminister, dann aber für flächendeckende Standards sorgen“, so Voss. Ohne diese werde die Pflegebranche nicht die notwendige Stabilität bekommen, um die Herausforderungen zu meistern. Zudem sind für sie berufliche Entwicklungsmöglichkeiten ein zentrales Element, das es zu verbessern gelte, „und das fängt schon bei der Ausbildung an. Dort gibt es derzeit jedenfalls großen Gestaltungsbedarf bei der Sicherung von Qualitätsstandards, denn auch die Ausbildung in den Betrieben leidet unter dem Personalmangel“, analysiert Voss.

Die praktische Ausbildung brauche Zeit und Aufmerksamkeit. Aber es fehlten schlicht Kapazitäten den Pflegekräften von morgen und übermorgen das nötige Rüstzeug mit auf den Weg zu geben. „Wer sich ernsthaft um den Nachwuchs in der Pflegebranche sorgt, sollte vor allem in Aus- und Weiterbildungsstrukturen investieren“, lautet Voss‘ Fazit. <<

Ausgabe 02 / 2019