Herausforderung Flächenland
>> Frau Bätzing-Lichtenthäler, das Thema Pflege steht für Sie als Ministerin für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie des Landes Rheinland-Pfalz „ganz oben“ auf der Agenda. Sie bezeichnen es als DAS Thema der Zukunft. Worin manifestiert sich die Priorität auf der strukturellen Ebene der Ministeriumsorganisation und -arbeit?
Die Bedeutung des Themas Pflege zeigt sich bereits darin, dass sich mit der „Pflege“ in meinem Haus drei Abteilungen beschäftigen. Die Abteilung Gesundheit ist insbesondere zuständig für die Pflege im Krankenhaus und für die Landespflegekammer. Die Abteilung Arbeit widmet sich den Themen rund um die Pflegeausbildung und der Fachkräftesicherung. Schließlich ist die Abteilung Soziales und Demografie für grundsätzliche Fragen zur Langzeitpflege einschließlich der Pflegeversicherung und der Angebotsstrukturen zuständig.
Sie führen als einziges Bundesland ein Demografieministerium ...
Als Demografieministerium haben wir auch die ganzheitliche und ressortübergreifende Betrachtung der Bevölkerungsentwicklung im Blick. Zudem steuert die Stabsstelle „Gesundheit und Pflege 2020“ als interdisziplinäre Kompetenzstelle für Innovationen und Zukunftsfragen die Stärkung und Weiterentwicklung der medizinischen und pflegerischen Versorgung sowie die Gesundheitswirtschaft und Telematik.
Gibt es besondere Herausforderungen, die das Bundesland aufgrund geografischer, struktureller oder demografischer Voraussetzungen bewältigen muss?
Die Situation in Rheinland-Pfalz ist ausgesprochen heterogen. Wir haben die speziellen Anforderungen im ländlichen Raum zu bewältigen, wir haben Ballungsgebiete, beispielsweise mit einem Anteil des Rhein-Main-Gebiets, und wir haben Wanderungsbewegungen gepaart mit unterschiedlich verlaufenden Alterungsentwicklungen. Ein konkretes Beispiel für die unterschiedlichen Rahmenbedingungen: Eine kreisfreie Stadt in Rheinland-Pfalz weist bereits heute einen ähnlich hohen Altenquotienten auf, wie ihn eine andere kreisfreie Stadt nach der Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Landesamtes im Jahr 2070 erreichen könnte.
Welche Maßnahmen resultieren aus diesen Entwicklungen?
Diese erheblichen regionalen Unterschiede verdeutlichen, wie wichtig es ist, Pflegeplanung auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte zu verorten. Dementsprechend haben wir den Landkreisen und kreisfreien Städten die Aufgabe der Pflegestrukturplanung landesgesetzlich übertragen und unterstützen die Kommunen mit einer Servicestelle bei der Landeszentrale für Gesundheitsförderung.
Auf der Berliner Pflegekonferenz 2018 hat sich Rheinland-Pfalz als nationales Partnerland präsentiert. Sie haben dort die Vorreiterrolle des Bundeslandes in Sachen Pflege hervorgehoben. Was macht Rheinland-Pfalz hier zum Leader?
Für uns hat es einen hohen Stellenwert, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst viel zu bewegen. Das äußert sich dann beispielsweise in den 135 Pflegestützpunkten, an denen das Land als Träger beteiligt ist. Gemeinsam mit unseren Partnern, den Kranken- und Pflegekassen sowie Kommunen und den Anstellungsträgern der Fachkräfte für Beratung und Koordinierung ist es uns gelungen, ein engmaschiges und wohnortnahes Beratungsangebot aufzubauen und zu sichern.
Ganz wichtig ist natürlich, dass pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen vor Ort auch die Unterstützung finden, die sie benötigen. Mit jeweils über 500 ambulanten Pflegediensten und stationären Pflegeeinrichtungen haben wir eine gut ausgebaute Angebotsstruktur, die von mittlerweile knapp 400 Unterstützungsangeboten im Alltag flankiert wird. Gleichzeitig spüren wir natürlich auch in Rheinland-Pfalz die Auswirkungen des bundesweiten Fachkräfteengpasses in der Pflege.
Wie eruieren Sie, in welcher Höhe dieser Fachkräftemangel tatsächlich numerisch zu beziffern ist?
Aufgrund unserer Arbeitsmarktanalyse „Branchenmonitoring“ wissen wir genau, wo wie viele Fachkräfte in welchen Sektoren des Gesundheitswesens und der Pflege fehlen. Auf Basis dieser Daten erstellen wir Prognosen zum zukünftigen Fachkräftebedarf und entwerfen gemeinsam mit den relevanten Akteuren Fachkräftesicherungsszenarien. Diese bilden auch die Grundlage für die Ausbildungsstättenplanung, bei der wir mit den Krankenhäusern Zielvorgaben zum Ausbau der Ausbildungskapazitäten vereinbaren. Darüber hinaus haben wir schon vor Jahren Landesprojekte zur Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen in der Pflege auf den Weg gebracht, um die Teilzeitquote zu senken und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Können Sie uns einen Einblick in das Monitoring geben?
Im Jahr 2010 zeigte das „Branchenmonitoring“ ein Defizit und für das Jahr 2015 wurde im Prognosegutachten eine Fachkräftelücke von insgesamt 5.367 Pflegekräften prognostiziert. Als Reaktion darauf wurde im Jahr 2012 die „Fachkräfte- und Qualifizierungsinitiative“ auf den Weg gebracht. Die Maßnahmen waren erfolgreich, denn das „Branchenmonitoring 2015“ macht sichtbar, dass die prognostizierte Fachkräftelücke von 5.367 Pflegekräften nicht eintrat. Stattdessen wurde die prognostizierte Fachkräftelücke um rund 65 Prozent auf 1.912 fehlende Pflegekräfte reduziert.
Jede Fachkräftelücke in der Pflege bedeutet jedoch eine Arbeitsverdichtung für das vorhandene Personal. Wir steigern daher unsere Fachkräftesicherungsaktivitäten, damit es in Rheinland-Pfalz auch weiterhin attraktiv ist, in der Pflege zu arbeiten.
Mit welcher Strategie konnten Sie die Pflege in dieser Form stärken?
Ich will hier einige Beispiele nennen. Erstens, die Fachkräftesicherung: Unsere Gesellschaft befindet sich in einem tiefgreifenden demografischen, technologischen und strukturellen Wandel, der gleichermaßen Herausforderungen und Chancen für die Menschen in Rheinland-Pfalz bereithält. Im Gesundheitswesen und in der Pflege geht es um die Sicherstellung und Weiterentwicklung einer bedarfsgerechten und qualitativ hochwertigen Versorgung in den städtischen wie in den ländlichen Regionen. Wir setzen uns bereits seit längerem gemeinsam mit den Partnerinnen und Partnern im rheinland-pfälzischen Gesundheitswesen und der Pflege in Fachkräfteinitiativen und vielfältigen Projekten mit diesen Entwicklungen erfolgreich auseinander.
Sie haben bereits 2015 eine „Fachkräfte- und Qualifizierungsinitiative Pflege“ gestartet.
Es ist unser gemeinsames Ziel, eine menschenwürdige und qualitativ hochwertige pflegerische und medizinische Versorgung in Rheinland-Pfalz vorzuhalten und weiterzuentwickeln. Um dies sicherzustellen, sind fachkompetente Pflegekräfte in ausreichender Zahl unverzichtbar. Wir werden deshalb gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern die Fachkräfte- und Qualifizierungsinitiative fortführen und als „Fachkräfte- und Qualifizierungsinitiative Pflege 2.0, 2018 - 2022“ weiterentwickeln. Dafür wurden gemeinsam und verbindlich die Ziele und Maßnahmen in folgenden Handlungsfeldern festlegt:
• Zukunftsorientierte Formen von Ausbildung, Studium und Weiterbildung in der Pflege,
• Weiterentwicklung und Rahmenbedingungen der Pflegeberufe,
• Attraktive Beschäftigungsbedingungen in der Pflege,
• Integration ausländischer Pflegekräfte,
• Öffentlichkeitsarbeit.
Wohnformen spielen in Ihrem Konzept doch auch eine große Rolle.
Richtig. Einen Fokus legen wir auch auf das Feld neuer Wohnformen. In den letzten Jahren sind in Rheinland-Pfalz viele neue Wohn- und Versorgungsangebote entstanden, die ein langes Leben zuhause ermöglichen. Gemeinschaftliches Wohnen, zum Beispiel in einem Mehrgenerationenprojekt, bietet dafür die nötigen Grundlagen: Kontakte und vielfältige Möglichkeiten sich selbst einzubringen – das geht vom Mittagstisch über Einkaufsdienste oder Haushaltshilfen bis hin zum Repair-Cafe – das stärkt das Miteinander der Menschen, die darin leben.