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Wieso überhaupt Rendite?

02.04.2019 11:10
Sie heißen Alloheim, Pro Seniore oder Korian. Private Pflegeheimbetreiber rücken zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit. Dabei wird die Frage nach der Tragbarkeit von Gewinnerwirtschaftung in Rahmen der Daseinsfürsorge immer lauter. Und so hatte der Programmbeirat des Deutschen Pflegetages mit der Veranstaltung „Rendite gegen Qualität: Wie viel Geld darf man mit der Pflege verdienen? Chancen und Risiken der freien Marktwirtschaft“ ein Thema auf die Agenda gesetzt, das Dr. Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz, mit einem Vortrag einleitete und das im Anschluss mit weiteren Partnern diskutiert wurde.

>> Mit den Pflegestärkungsgesetzen aus der der letzten Legislaturperiode ist die Zahl der Anspruchsberechtigten auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung deutlich gestiegen. War zwischen 2010 und 2016 jährlich ein Anstieg von rund 100.000 Leistungsempfängern zu verzeichnen, so fällt der Sprung von 2016 auf 2017 mit rund 550.000 Empfängern extrem hoch aus, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen. So waren im Dezember 2017 in Deutschland 3,41 Millionen Menschen pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI). Knapp ein Viertel (24% oder 0,82 Millionen Pflegebedürftige) wurde in Pflegeheimen vollstationär betreut.

Doch anders als möglicherweise durch die öffentliche Diskussion wahrgenommen, entfällt auf die großen Betreiber von Pflegeheimketten nur ein Marktanteil von 13%. Insgesamt macht die Zahl der privatgewerblichen Träger 42,6% aus, worunter sich jedoch mehrheitlich kleinere Anbieter fänden, die ein bis drei Heime bewirtschafteten und nicht an Gewinnmaximierung, aber an der Erwirtschaftung eines angemessenen Überschusses interessiert seien, wovon der Großteil auch wieder reinvestiert werde. Doch, so referierte Sell, sei die Gesamtbettenkapazität der 30 führenden Pflegeheimbetreiber – worunter übrigens auch einige freigemeinnützige Betreiber fallen – innerhalb von drei Jahren (2014-2017) um knapp 20.000 Plätze auf insgesamt 172.000 Pflegeplätze in der vollstationären Versorgung gestiegen, was einem Wachstum von 13% entspreche. Die Wachstumsrate liege damit überproportional höher als die Wachstumsrate des Gesamtmarktes, die mit etwa 4% beziffert wird.

Neben der wachsenden Zahl der Leistungsempfänger werde der Expansionsstrategie zudem durch die Aufgabe von in den 60er-70er Jahren in Betrieb genommenen Einrichtungen der Boden bereitet. „Darf man in der Pflege Rendite erwirtschaften? – die an Investoren ausgeschüttet und nicht wieder der Pflege zugute kommt?“, stellte Sell die Frage in den Raum, die er gemeinsam mit Christiane Rock, Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., Axel Hölzer, Geschäftsführer der Dorea-Familie und Vizepräsident beim Arbeitgeberverband Pflege diskutierte.
Sell machte klar, dass sich 3%-4% Rendite im Altenheim nur erwirtschaften ließen, wenn man beim Personal spare: „Bei Kostenanteilen von 70 Prozent und mehr für den Personalbereich ist es zwangsläufig klar, wo die Kosten gedrückt werden – vor allem und so lange, wie die Politik nicht in der Lage ist, durch eindeutige und bei Missachtung streng zu sanktionierende Personalvorgaben eine „Produktivitätssteigerung“ durch Personalverkürzung zu verhindern“, stellte der Professor fest.

Christiane Rock verwies auf die Notwendigkeit eines verbindlichen einheitlichen Personalschlüssels auf Basis eines Personalbemessungsinstrumentes, welcher für die Langzeitpflege derzeit erarbeitet und für 2020 erwartet wird. „Der Markt wird es selber nicht richten“, erklärte sie und forderte eine flächendeckende tarifliche Entlohnung der Pflegekräfte, der Sell beipflichtete.

Sell machte deutlich, dass die Altenpflege einen „Rieseninvestitionsbereich“ darstelle, aus dem sich der Staat weitestgehend zurückgezogen habe. Aber Investitionen müssten selbstverständlich getätigt werden. Investitionskosten (IK) sind nach dem derzeitigen System Bestandteil der Pflegesätze, werden jedoch auf die Heimbewohner umgelegt. Transparenz suche man hier vergebens, denn die Investitionskosten sind nicht Bestandteil der Pflegesatzverhandlungen und werden von den Betreibern der Einrichtungen veranschlagt; und seien in der Regel nicht einsehbar, so Sell, der angibt, dass sich die IK in den letzten Jahren zum „zweiten Heimentgelt“ entwickelt hätten. Er beziffert diese Kosten auf 447 Euro im Monat und beruft sich dabei auf aktuelle Zahlen vom Januar 2019.

Hölzer verwies darauf, dass beispielsweise im Krankenhaus rund 6% Rendite üblich seien. Laut Gesetz (§84 SGB XI) müssen die Pflegesätze eine „angemessene Vergütung des Unternehmerrisikos“ zulassen. Doch was bedeutet das? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte im August 2018 im Handelsblatt gesagt: „Ein kapitalmarktgetriebenes Fokussieren auf zweistellige Renditeerwartungen“ sei „eher nicht angemessen“.
Die Studie „Unternehmerisches Wagnis in der stationären Pflege“, die im Auftrag des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) von IEGUS-Institut und der Unternehmensberatung contec durchgeführt wurde, kommt zu dem Schluss, dass das „branchenunabhängige Wagnis“ mit 4% zu beziffern ist. Zudem veranschlagt die Studie einen „branchenspezifischen Risikozuschlag“, der auf einen regional unterschiedlichen Bereich zwischen zwischen 4,84%-5,62% taxiert wird.

„Sie brauchen Überschüsse; auch um innovative Personalpolitik betreiben zu können“, stellte Sell abschließend fest. Wohl unter der Voraussetzung, dass ein Großteil dessen reinvestiert werde. Nicht zuletzt ist für Sell auch ein Systemumabau der Pflegeversicherung von Nöten. Die Verwendung von Steuermitteln sieht er dabei allerdings kritisch: „Steuerfinanzierung ist politischer Willkür unterworfen und geht mal hoch, mal runter – je nach Wirtschaftslage.“ <<

Ausgabe 01 / 2019