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Wirklich gut versorgt?

06.08.2019 09:39
Über 60 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland, die von einem Pflegedienst versorgt werden, sind von einer Harninkontinenz betroffen, wie das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) und der Charité Universitätsmedizin Berlin Ende 2018 im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie ermittelten. Bei Pflegeheimbewohnern sei der Anteil laut den Ergebnissen noch höher. Vor diesem Hintergrund erhält die erstmals durchgeführte Versichertenbefragung der AOK Baden-Württemberg im Bereich aufsaugender Inkontinenzprodukte noch größere Relevanz, gilt es doch, mithilfe der evaluierten Erfahrungswerte, eine bessere Versorgung der Betroffenen zu ermöglichen.

>> Das zentrale Ergebnis: „Qualität gut, Beratung könnte besser sein“, fasst  die AOK-Baden-Württemberg zusammen. Die Daten basieren auf einer durch das IMK Institut für angewandte Marketing- und Kommunikationsforschung im ambulanten Bereich schriftlich und einer im stationären Bereich persönlich durchgeführten Befragung von AOK-Versicherten, die mit aufsaugenden Inkontinenzhilfsmitteln versorgt werden. Von 1.500 Fragebögen an ambulant Versorgte fanden 622 den Weg zurück zur Krankenkasse, stationär wurden 103 Personen befragt. Die Studienteilnehmer sahen sich einem standardisierten Fragebogen gegenüber, der hauptsächlich mit geschlossenen und teilweise (teil-)offenen Fragestellungen operierte. Eine Vorbereitung fand mit Hilfe eines Fragebogen-Pretests statt.

Leistungserbringer profitieren von Wohnortnähe

Was die Produkte anbelangt, so verwenden Befragte, die am-bulant mit saugenden Inkontinenzhilfsmitteln versorgt werden, am häufigsten Inkontinenzvorlagen (72%) – gefolgt von Inkontinenzunterhosen (26%), saugenden Inkontinenzhosen (12%) und Netzhosen (11%). Betrachtet man die Nutzer getrennt nach Geschlechtern so ist auszumachen, dass bei Frauen mit 77% die saugende Inkontinenzvorlage noch etwas beliebter ist als bei Männern (65%). Dieser Produkttyp wird insgesamt mit 78% häufiger über Apotheken bezogen als über Homecare-Unternehmen (69%) oder Sanitätshäuser (65%). Hier waren Mehrfachnennungen möglich. Insgesamt verwenden die Befragten etwa drei Inkontinenz-Produkte pro Tag, wobei Frauen durchschnittlich etwa ein Produkt mehr verwenden als Männer. Von diesen geben 77% an, quantitativ optimal mit Produkten versorgt zu sein, bei den befragten Frauen sind es 71%. Die Zahl derer, die sich unterversorgt fühlen, liegt bei insgesamt 23%. Im stationären Bereich sind 93% mit der Menge an Produkten zufrieden.

Bei der Marke bleiben sich die meisten Befragten im ambulanten Bereich treu: Nahezu 9 von 10 Befragten verwenden immer das gleiche Produkt. Nur in Ausnahmefällen wird gewechselt. Die meistverwendeten Produkte sind die der Firmen Hartmann, seni und Tena. Diese erwerben die Studienteilnehmer hauptsächlich bei einem Leistungserbringer in Wohnortnähe (Apotheken 49%, Sanitätshäuser 41%). 29% finden den Weg durch eine Arztempfehlung in die Apotheke, während das Sanitätshaus mit 23% von dieser Berufsgruppe etwas seltener empfohlen wird. Homecare-Unternehmen hingegen würden häufig nach einer Beratung durch die AOK gewählt. Der Aspekt der Wohnortnähe des Leistungserbringers nimmt mit wachsendem Alter zu. So ist sie für 35 Prozent der 41- bis 65-Jährigen das wichtigste Kriterium bei der Wahl des Leistungserbringers und für 44% der 76- bis 85-Jährigen. Die Beratung durch Apotheken, Sanitätshäuser und Homecare-Unternehmen ist gut, findet den Ergebnissen zufolge allerdings zu selten statt. Nur 68% geben an, zu Beginn der Versorgung beraten worden zu sein. Hier sieht die Krankenkasse  Verbesserungspotenzial.

Vertragspflicht wird nicht nachgekommen

Auch bei weiteren Aspekten – insbesondere bei der Übergabe einer Patienteninformation und dem Angebot, Produkte zu testen – ist die Beratung nicht ausreichend. So sagen 22% der im ambulanten Bereich Befragten, gar nicht beraten worden zu sein – „obwohl dies eine zentrale Vertragspflicht der Partner ist“, wie die AOK Baden-Württemberg moniert. Die Folge daraus ist, dass vor allem im ambulanten Bereich viele Befragte angeben, private Mehrkosten zu leisten, weil sie andernfalls zu wenige Produkte hätten, um den eigenen Bedarf zu decken.

„Durch unsere regionale Struktur können wir zielgenau und rasch auf unsere Vertragspartner zugehen, um eventuelle Verbesserungspotenziale in der Beratung unserer Versicherten anzusprechen. Diese Möglichkeit werden wir in Gesprächen und Verhandlungen mit den Vertragspartnern nutzen“, erklärt  Kyriake Mastroyannis, Referatsleiterin Hilfsmittel bei der AOK Baden-Württemberg.

Das tut auch Not, denn Inkontinenz kann die gesellschaftliche Teilhabe in großem Maße beeinträchtigen. Daher ist eine gute Versorgung, die mit einer guten Beratung beginnt, unerlässlich. „Der richtige Umgang mit Blasen- und Darmschwäche ist wichtig. Dadurch können viele gesundheitliche, aber auch seelische Probleme gelindert oder sogar ganz vermieden werden. Die Lebensqualität kann so erheblich verbessert werden“, sagt Dr. Ralf Suhr vom ZQP. Die Stiftung hat einen kostenlosen Ratgeber für pflegende Angehörige mit praktischen Hinweisen und aktuellem Basiswissen zum Thema Harn- und Stuhlinkontinenz entwickelt. Der Download ist unter folgedem Link möglich: https://www.zqp.de/inkontinenz-pflege/ <<

Ausgabe 02 / 2019