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Robotik als Chance für die Pflege

07.04.2020 12:47
„Robotik für gute Pflege“ lautet der Titel der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates, die im März vorgestellt wurde. Hierin werden Chancen und Risiken der Robotik für die Pflege abgewogen, und der Rat kommt zu dem Urteil, dass Roboter einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität pflegebedürftiger Menschen und der Arbeitsqualität im Pflegebereich leisten können. Dies setze jedoch voraus, dass der Einsatz von Robotertechnik zwischenmenschliche Beziehungen nicht ersetzt, dass er nicht gegen den Willen von Gepflegten und Pflegenden oder zur bloßen Effizienzmaximierung erfolgt und dass die Betroffenen in die Entwicklung der Techniken einbezogen werden. Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Prof. Peter Dabrock, Prof. Adelheid Kuhlmey und Prof. Andreas Kruse präsentierten die Stellungnahme.

>> „Das Ausmaß der Veränderung ist zwar nicht genau abzusehen, klar aber ist: Der Zuwachs an Pflegebedarf wird dramatisch sein – und erfordert gesellschaftliche Anstrengungen“, erklärte der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, als erster Redner auf der Pressekonferenz in Berlin. Die heute rund 3,4 Millionen Pflegebedürftigen, deren Zahl für das Jahr 2050 auf rund 5,3 Millionen geschätzt wird, sehen sich einem Pflegfachkräftemangel ausgesetzt, dem die Politik unter anderem mit der Förderung von Erforschung und Entwicklung robotischer Anwendungen entgegentritt. Für den Deutschen Ethikrat ist die Annäherung der Politik in Form von infrastruktureller, personeller und finanzieller Defizitbeseitigung nicht der richtige Weg.

Vielmehr fokussiert der Rat bei seiner Betrachtung und Bewertung der Robotik das Potenzial zur Förderung guter Pflege. Bei der Erhaltung von Selbstständigkeit, von körperlichen und kognitiven Fähigkeiten wie auch deren möglicher Rückgewinnung durch rehabilitative Maßnahmen, könnten Roboter unterschiedlicher Art zum Einsatz kommen. Professor Dr. Adelheid Kuhlmey erklärte, dass man bewusst auf den Begriff „Pflegeroboter“ verzichte, „um der Fehldeutung vorzubeugen, Roboter würden gleichrangig, neben oder anstelle von menschlichen Pflegekräften agieren. Ein solches Szenario scheint heute nicht realistisch und wäre nach Auffassung des Deutschen Ethikrates auch künftig nicht wünschenswert“, so Kuhlmey.

Sie zählte Assistenzroboter, die Pflegenden und Gepflegten bei alltäglichen Verrichtungen, z.B. der Nahrungsaufnahme, hälfen, Robotische Monitoring-Techniken, die ein selbstbestimmtes Leben im heimischen Umfeld befördern könne, sowie Begleitroboter auf, die z.B. in Gestalt verschiedener Kuscheltiere angeboten werden und bei sozialen Interaktionen assistieren oder selbst als Interaktionspartner dienten und so vor allem kommunikative und emotionale Bedürfnisse erfüllten, stünden ebenfalls im Blickpunkt der Analyse. „Dabei verdeutlichen alle positiv genannten Beispiele zugleich mögliche Schattenseiten des Einsatzes von Robotik“, mahnt Kuhlmey, denn es sei fragwürdig, wenn pflegebedürftige Menschen soziale und emotionale Bedürfnisse zukünftig überwiegend im Umgang mit Begleitrobotern stillen würden oder Angehörige den Eindruck gewönnen, der Besuch einer pflegebedürftigen bzw. von Assistenz abhängigen Person sei entbehrlich, weil sie dank Monitoring jederzeit nach dem Rechten sehen könnten.

Kuhlmey sprach ebenso von der Möglichkeit, dass die Unterstützung durch Assistenzrobotik eine höhere Arbeitsdichte in der professionellen Pflege darstellen könnte oder die hohen Kosten für die Einführung von robotischen Assistenzsystemen zu Mittelkürzungen im Personalwesen führen könne. In letzter Konsequenz sei das jedoch aufgrund zu geringer Kenntnisse über die Auswirkungen der Robotik in der Pflege noch nicht evaluierbar. „Der Deutsche Ethikrat schlägt vor, sich bei der Beurteilung dieser Auswirkungen am normativen Schlüsselbegriff der „guten Pflege“ zu orientieren. „Im Zentrum guter Pflege steht das Wohl der zu pflegenden oder hilfebedürftigen Person in ihrer Individualität“, erklärte Kuhlmey. „In der Robotik liegt das Potenzial, einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität pflegebedürftiger Menschen und der Arbeitsqualität im Pflegebereich zu leisten“, schloss die Wissenschaftlerin ihr Statement.

Andreas Kruse gab anschließend normativen Überlegungen und Empfehlungen Raum. Beim komplexen Interaktionsgeschehen Pflege, das Roboter nicht ersetzend, sondern unterstützend begleiten sollen, unterscheidet der Ethikrat drei Verantwortungsebenen: „Von der Mikro-Ebene der Verantwortung, in deren Zentrum die verantwortungsvolle Gestaltung der direkten Interaktion zwischen Pflegekräften und Personen mit Pflege- oder Assistenzbedarf steht, wird eine Meso-Ebene unterschieden, auf der die Träger von Pflegeeinrichtungen sowie die Entwickler und Anbieter robotischer Systeme agieren“, so Kruse.

Neben diesen beiden gebe es noch die Makro-Ebene der systemischen Rahmenbedingungen, innerhalb derer institutionelle Akteure entscheiden und handeln. Für die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen trügen vor allem Politik und Administration sowie die gesundheitssystemische Selbstverwaltung Verantwortung. <<

Ausgabe 01 / 2020