Möglichst individuell und passgenau
>> Um eine qualitativ hochwertige pflegerische Versorgung in Deutschland auch in Zukunft zu sichern, brauche es mehr Innovation, halten die Autoren der Studie „Potenziale sozialer Innovationen in der ambulanten Langzeitpflege“ fest, die gemeinsam mit dem mit IGES Institut durchgeführt wurde. Dabei stehen in dieser Studie nicht – wie man beim Stichwort „Innovation“ erwarten würde – moderne Technologien im Fokus, sondern der Schwerpunkt liegt auf sozialen Innovationen. Der Begriff bezeichnet laut Autoren die neuartige Gestaltung sozialer Praktiken mit dem Ziel, dadurch Probleme besser bewältigen zu können und Bedürfnisse gesellschaftlicher Gruppen angemessener zu befriedigen, als dies durch bestehende Praktiken möglich ist.
Die Studie bringt das Konzept der sozialen Innovation mit der ambulanten Langzeitpflege und adressiert darin verortete soziale Innovationen insbesondere in den folgenden drei Handlungsfeldern:
• der Arbeitsorganisation,
• der Gestaltung des Pflegeprozesses sowie
• der lokalen Infrastruktur im sozialen Umfeld der Pflege.
Neben den Abläufen in der professionellen Pflege werden aber auch Praxisbeispiele etwa zur Vereinbarkeit von (informeller) Pflege und Beruf oder zur Beratung bezüglich des Umgangs mit Demenz thematisiert.
Mit Blick auf die Arbeitsorganisation kann die Studie zeigen, dass kleine, sich selbstorganisierende Pflegeteams mit flachen Hierarchien, partizipativen Entscheidungsstrukturen und eigenen Handlungsspielräumen bei der Aufgabengestaltung die Arbeitszufriedenheit von Pflegekräften steigern können. Im Pflegeprozess beruhen innovative Vorgehensweisen den Ergebnissen zufolge auf ressourcenorientierten Praktiken sowie einer stärkeren Bezugspflege und zielen darauf, Pflege möglichst individuell und passgenau auf den konkreten Fall des Pflegeempfängers abzustimmen (Case Management). Dadurch soll der Erhalt gesundheitlicher Ressourcen sowie ein möglichst selbstbestimmtes und selbstständiges Leben in der eigenen Häuslichkeit bewirkt werden.
Und schließlich zeigt die Studie auf, dass Quartiersansätze, die auf eine intensive Vernetzung der Pflege mit dem Wohn- und Lebensumfeld der Pflegeempfangenden, informellen Hilfen und anderen relevanten Professionen zielen, die soziale Teilhabe der Pflegebedürftigen und die Entlastung professionell und informell Pflegender fördern können. Damit soziale Innovationen in der ambulanten Langzeitpflege ihre Potenziale entfalten, brauche es innovationsfreundliche Rahmenbedingungen, die die Entwicklung und Verstetigung innovativer Praktiken in der Pflege erleichtern. Innovationsförderung, zum Beispiel in Form eines Pflege-Innovationsfonds auf Bundesebene mit niedrigschwelligem Antragsverfahren oder mittels gezielter Förderprogramme auf Landesebene stehen bei den Studienautoren hier ganz oben auf der Liste. Zweitens seien Konzepte für eine nachhaltige und stabile Finanzierung innovativer Versorgungsansätze in den bestehenden Regelstrukturen notwendig, damit innovative Strukturen nach Ende einer Modellphase auch aufrechterhalten werden können. Und drittens sollte die gestaltende Rolle der Kommunen in der Pflege gestärkt werden, denn diese könnten bei der Verzahnung von pflegerischer Versorgung, Wohnsituation und sozialer Teilhabe eine koordinierende Schlüsselfunktion einnehmen. Als Basis hierfür habe die Bertelsmann Stiftung bereits vor einigen Jahren ein Konzept entwickelt: Das Regionale Pflegebudget.
Arbeitszufriedenheit, Qualität und Patientensicherheit erhöhen
Doch auch die Technischen Innovationen kommen zum Zug. Für die Studie „Potenziale einer Pflege 4.0 – Wie innovative Technologien Entlastung schaffen und die Arbeitszufriedenheit von Pflegefachpersonen in der Langzeitpflege verändern“ hat das Institut für Innovation und Technik (iit) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung anhand von sieben Fallstudien im In- und Ausland ermittelt, welche Be- und Entlastungseffekte für Pflegefachpersonen durch den Einsatz einer Vielzahl an Pflegetechnologien entstehen können, was daraus für die Pflegequalität folgt und welche Effekte sich dadurch für Deutschland insgesamt ergeben könnten. Fazit: Wirkungsvoll eingesetzte Pflegetechnologien erhöhen die Arbeitszufriedenheit Pflegender, die Qualität der pflegerischen Versorgung und die Patientensicherheit. Die mobile digitale Dokumentation beispielsweise integriere das Dokumentieren stärker in den Pflegeprozess, reduziert dadurch Workflow-Unterbrechungen und spare Zeit. Sensorsysteme oder Kommunikationsroboter wirkten ebenfalls gewinnbringend.
Die Autoren arbeiten explizit heraus, dass wirkungsvoll eingesetzte Pflegetechnologien die Resilienz von Pflegeteams stärken können. Die Steigerung des Sicherheitsempfindens wirke sich positiv auf deren Arbeitszufriedenheit aus. Durch Fehlervermeidung, wirksame Präventionsmaß-nahmen, verringerte Laufwege, schnelleres Dokumentieren und die einfachere Kommunikation ergäben sich zudem Effektivitäts-und Effizienzgewinne. <<